DIE ALLIIERTE MARIANNE 89
zurückzog. Er selbst hatte in Heidelberg studiert und war dort Korps-
student gewesen. Er sprach fast ebenso gut Deutsch wie Französisch, das
jeder vornehme Russe wie seine Muttersprache spricht. Murawiew und ich
hatten seit vielen Jahren die besten Beziehungen gehabt. Indem er dies
betonte, ging er sofort in medias res. Die Verhältnisse lägen jetzt erheblich
anders als in der ersten Hälfte der achtziger Jahre, wo wir Kollegen in
Paris gewesen wären, und als in deren zweiter Hälfte, wo er als Botschafts-
rat in Berlin gewirkt hätte. Seitdem hätten wir das Bündnisverhältnis
zwischen Preußen-Deutschland und Rußland, das bis auf die Tage der
Heiligen Allianz und tatsächlich bis auf jene berühmte Szene in der Pots-
damer Garnisonkirche zurückgehe, wo sich Alexander I., Friedrich Wil-
helm III. und die Königin Luise am Grabe Friedrichs des Großen um-
armten, von unserer Seite und trotz aller russischen Vorstellungen und
Bitten in schroffer Weise und unter bedauerlichen Begleitumständen
gekündigt. Wir hätten den alten und wertvollen Draht zerrissen. „Tu l’as
voulu, George Dandin!“ d. h. nicht ich, sondern „‚ce pauvre Caprivi“, der
sich nach seinen eigenen Worten unfähig gefühlt hätte, mit mehr als zwei
Kugeln zu jonglieren, und Marschall, der „‚ministre etranger aux affaires“,
der, nachdem er Rußland vor den Kopf gestoßen hätte, nicht lange nachher
mit der Krüger-Depesche auch die Engländer mit einem Fußtritt regaliert
habe. So sei die französisch-russische Allianz zustande gekommen, gegen
die er, Murawiew, vom Standpunkt der innerrussischen Politik und der
Sicherheit der Dynastie schwere Bedenken gehabt hätte und noch habe.
Sie wäre aber nun einmal da und an ihre Aufhebung natürlich nicht zu
denken. Er wolle mir sogleich offen sagen, daß bei dem in wenigen Wochen
bevorstehenden Besuch des Präsidenten der Französischen Republik in den
bei dieser Begegnung auszutauschenden Toasten die zwischen Rußland und
Frankreich abgeschlossene Allianz erwähnt werden würde. Es werde in den
Toasten nicht nur von den befreundeten, sondern ausdrücklich von den
alliierten Nationen die Rede sein. Murawiew wiederholte noch einmal, es
wäre ihm aus verschiedenen Gründen erwünschter, wenn er mit uns allüert
wäre als mit der Französischen Republik. Daran sei aber nichts zu ändern.
Er könne sich nicht von Marianne scheiden lassen und wieder zu seiner
früheren deutschen Frau zurückkehren. „Was wir aber können“, fuhr er
fort, „ist, daß jeder von uns, Sie und ich, in seiner Gruppe im Sinne des
Friedens wirkt. Die Voraussetzung hierfür ist, daß wir die Franzosen von
Dummheiten abhalten und Sie die Österreicher, das heißt vor nicht wieder
gutzumachenden Dummbheiten. Dummheiten kommen ja immer vor, es
dürfen nur keine irreparablen Dummbeiten sein. Dessen versichere ich Sie
aus tiefster Überzeugung, daß der Kaiser Nikolaus und ich Frieden wollen,
Frieden überall, aber besonders in Europa und ganz besonders zwischen