x VORWORT DES HERAUSGEBERS
welt überlassen, über ihn zu urteilen, zu stolz, um sich selbst verteidigen zu
wollen. Der Fürst war zu alt geworden, er war zu abgeklärt, um jedes seiner
Urteile, jede seiner Meinungen für unanfechtbar zu halten, und hätte daher
jedem Widerspruch, den sein Werk, falls es bei seinen Lebzeiten veröffent-
licht worden wäre, gefunden hätte, mit Ruhe entgegengeschen. Was er aber
aus innerstem Herzen wünschte, war, daß die Welt an die Aufrichtigkeit
und Überzeugungstreue seiner Darstellung glaube. Dafür schien ihm die
posthume Veröffentlichung die sicherste Bürgschaft zu bieten.
Dem Streben des Fürsten nach bestmöglicher Richtigkeit und abso-
luter Wahrhaftigkeit entsprach die Gewissenhaftigkeit, die er auf die
„Denkwürdigkeiten‘ verwandt hat. Er war sein ganzes Leben gewohnt
gewesen zu diktieren, und dem in scinem Arbeitszimmer Aufundabschrei-
tenden formten sich die Sätze für die Niederschrift seiner Erinnerungen
mit gleicher Mühelosigkeit, wie der Redner Bülow in drei Parlamenten mit
sicherer Leichtigkeit seine glänzenden Perioden aneinanderzureihen ge-
wußt hatte. Trotz dieser angeborenen Leichtigkeit geistigen Schaffens hat
Fürst Bülow fünf Jahre auf das Diktat des Textes und drei weitere Jahre
auf die sorgfältige, mühevolle Überprüfung des Textes verwendet. Die
Bismarcksche Arbeitsschule, in welcher der junge Attach&, der Sekretär des
Berliner Kongresses, aufgewachsen war, zeigte sich auch im hohen Alter
noch nachhaltig und wirksam. Kein Name, kein Datum, kein Zitat, das
nicht mehrmals durch Nachschlagen verifiziert, kein Satz, der nicht wieder
und wieder sorgsam abgewogen und gefeilt worden wäre. Das außerordent-
lich starke Gedächtnis des Fürsten, das ihn über die Amtszeit hinaus bis
ins hohe Greisenalter begleitet hat und nicht nur geschichtliche Persön-
lichkeiten und Ereignisse, sondern auch bedeutsame Zitate aus der Gedan-
kenwelt aller zivilisierter Nationen in ihm aufgespeichert hatte, unterstützte
das Werden des Werkes in hohem Maße. Material im eigentlichen Sinne des
Wortes lag wenig vor, besonders Briefe in nur geringer Anzahl. Vom
Kaiser war fast kein Brief vorhanden, da Fürst Bülow alle kaiserlichen
Briefe, es waren in die Hunderte, nach seinem Rücktritt spontan, aus
eigener Initiative dem Zivilkabinett zur Verwahrung im Hausarchiv über-
geben hatte. So scharf und sicher aber war sein Gedächtnis, daß wiederholt
Stellen aus Briefen oder Aufzeichnungen, für die anfangs eine schriftliche
Unterlage nicht vorhanden gewesen war, sich bei deren späterem Auf-
finden nicht nur dem Sinne nach, sondern fast wortgetreu wiedergegeben
erwiesen.
Die „Denkwürdigkeiten‘ umfassen die Zeit von etwa 1850 bis 1919,
enden also mit dem Zusammenbruch Deutschlands. Zwei Bände sind dem
Werdenden und der glänzenden Laufbahn gewidmet, die ihn 1897 zum
Staatssekretär des Auswärtigen Amtes in Berlin führte, drei Bände dem