Tirpitz
108 DER GROSSADMIRAL
sich die hessischen Kurfürsten am Habichtswald in einem großartigen Park
mit herrlichen Wasserkünsten errichtet haben.
Ich habe in Wilhelmshöhe immer besonders gern geweilt. Nicht nur
wegen seiner landschaftlichen Schönheit, sondern auch weil dies Schloß
wie kaum ein anderes zum Nachdenken über die Wechselfälle der deutschen
Geschichte, ihre Gipfel, aber auch ihre Abgründe auffordert. Hier hatte
nach der Schlacht von Sedan, dem Höhepunkt der neueren deutschen Ge-
schichte, Napoleon III. als Gefangener während sicben Monate von seiten
unseres alten Kaisers die ritterlichste Behandlung, von seiten der Kaiserin
Augusta fast übertriebene Aufmerksamkeiten erfahren. Hier hatte aber
auch sechzig Jahre früher König Jeröme mit seinen Favoritinnen getändelt,
die leider zum Teil aus dem deutschen Adel hervorgegangen waren, hier
soll er in Rotwein gebadet haben, hier hatte er abends seine Hofleute mit
den berühmten Worten entlassen: „Morgen wieder lustik!“ Und dieses
Schloß war von den hessischen Kurfürsten erbaut worden mit dem Sün-
dengeld, das sie schmählicherweise durch den Verkauf ihrer Landeskinder
an das in Nordamerika kriegführende England verdient hatten. Friedrich
Kapp, gleichzeitig Flüchtling von 1848 und Vater des Regisseurs jenes
Putsches von 1920, der die völlige politische Direktionslosigkeit seines
Urhebers bewies, aber auch den Regierenden der jungen Republik Gelegen-
heit bot, sich durch ihre überstürzte Flucht nach Stuttgart lächerlich zu
machen, hat über den Soldatenhandel der deutschen Fürsten ein gutes
Buch geschrieben. Ich habe es dem Kaiser gelegentlich zu lesen gegeben,
um ihm zu zeigen, wie tief deutsche Fürsten sinken konnten. Er las das
Buch mit Interesse und mit aufrichtiger Entrüstung.
Vor mir war schon Admiral Tirpitz in Wilhelmshöhe eingetroffen. Der
Großadmiral von Tirpitz gehört zu den bedeutendsten Männern, die mir im
Leben begegnet sind. Schon seine äußere Erscheinung war imposant. Seine
Gegner,und es fehlte ihm nicht an Gegnern, behaupteten, daß, wenn man
ihm seinen großen und langen Bart abnähme, alle Welt zurückschrecken
würde vor der Häßlichkeit seiner Züge und seines Ausdrucks. Ich enthalte
mich in dieser Beziehung jedes Urteils, da ich Tirpitz nie ohne seinen
mächtigen Bart gesehen habe und auf allen Gebieten nicht viel von Kon-
jekturalpolitik halte. So wie Tirpitz war, lenkte er jedenfalls die Aufmerk-
samkeit auf sich. Der hochgewachsene, breitschultrige Mann mit dem ruhi-
gen und festen Ausdruck seiner bedeutenden Augen würde nie und nirgends
unbeachtet geblieben sein. Er hatte den Gang des Sceoffiziers, der auch
auf dem Festland die Gewohnheit verrät, sich bei schwankender See in
Gleichgewicht zu halten. Selbst in einem Volk, das wie das deutsche Volk
so starke Anlage und so regen Trieb zum Organisieren hat, war der Admiral
von Tirpitz ein Organisator von ungewöhnlichem Maß. Er war großer