Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Erster Band. Vom Staatsseketariat bis zur Marokko-Krise. (1)

EIN GEGENSATZ 151 
ausgezeichneten Künstler gemalt, einen nicht unbedeutenden Wert besitzt. 
Kaiser Franz Josef wollte keinen Krieg, und er wußte warum. Er hatte den 
Krieg von 1859 um Italien geführt, Italien ging verloren. Er hatte den Krieg 
von 1866 um Deutschland geführt, und die Hegemonie in Deutschland ging 
seinem Hause verloren. Eine dunkle Ahnung sagte ihm, daß, wenn es 
während seiner Regierung zum drittenmal zu einem Kriege komme, dies- 
mal über Balkanfragen und gegen die südslawischen Aspirationen, auch 
dieser Krieg ein unglücklicher und der letzte sein könnte, den Habsburg 
und das alte Österreich führen würden. Im Herbst 1914, bald nach dem 
Ausbruch des Krieges, äußerte der Kaiser zu seiner Freundin, der Frau 
Katharina Schratt: „Ich werde froh sein, wenn wir mit einem blauen Auge 
davonkommen!“ Im zweiten Kriegsjahr seufzte der alte Herr: „Der Kampf 
geht über unsere Kräfte.“ Er sollte das Ende des Weltkrieges nicht mehr 
erleben, aber wenn mich nicht alles täuscht, wird er mit dunklen Ahnungen 
aus diesem Leben geschieden sein. 
Das gnädige Wohlwollen des Kaisers Franz Josef ging mir erst während 
meiner römischen Mission 1914-15 verloren. Er zürnte mir, daß ich, um 
einem Zusammenstoß zwischen den Zentralmächten und Italien vorzu- 
beugen, für rechtzeitige österreichische Konzessionen an Italien eintrat. 
Er begriff nicht mehr, daß ihm und seinem Reich durch die Amputation 
eines Fingers das Leben gerettet werden sollte. Hierbei spielten, wie ich 
später darlegen werde, freilich auch Berliner Intrigen mit. Unter dem 
wohlwollenden Auge von Bethmann bemühten sich sowohl der Botschafter 
von Tschirschky wie einige ausrangierte Diplomaten vom Schlage des 
Grafen Monts mich in Wien anzuschwärzen. Die Frage, ob das an allen 
Fronten kämpfende Deutschland noch einen Gegner und einen starken 
Gegner mehr bekommen sollte, schien diesen Herren nebensächlich, ver- 
glichen mit der Besorgnis, daß ein Erfolg in Rom mir die Rückkehr auf 
den Reichskanzlerposten bahnen könnte, nach dem ich, soweit es sich um 
meine persönlichen Wünsche handelte, gar keine Sehnsucht empfand. 
Bei jener Audienz in der Ofener Burg, zwei Jahrzehnte vor dem beinahe 
gleichzeitig erfolgenden Zusammenbruch der habsburgischen Monarchie und 
des von Bismarck gezimmerten neuen, starken und glücklichen Deutschen 
Reichs, ahnte der alte Kaiser weder das in der Zukunft drohende Verhängnis 
seines Reichs noch den Ärger, den ich ihm, gerade um diesen völligen Zu- 
sammenbruch abzuwenden, später bereiten mußte. Er lud mich sogleich 
zum Sitzen ein, in der schlichten, immer korrekten, stets würdigen Art, die 
ihm eigen war. Man konnte sich keinen größeren Gegensatz denken als 
zwischen dem Kaiser Franz Josef und dem Kaiser Wilhelm II. Vielleicht 
war gerade deshalb Kaiser Franz Josef ungefähr der einzige Souverän in 
Europa, mit dem Wilhelm II. nie Friktionen gehabt hat. Die stärksten
	        
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