Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Erster Band. Vom Staatsseketariat bis zur Marokko-Krise. (1)

156 WILHELM II. GEHT IHM AUF DIE NERVEN 
nahme für Menschen, die ihm lieb waren. Franz Josef I. verlor niemals die 
Haltung gegenüber seinen Ministern, jedenfalls nicht mehr, nachdem die 
erste Jugend vorüber war. Abererweinte auch denen keine Träne nach, diegut 
bei ihm angeschrieben gewesen waren. Es schmerzte Wilhelm II., es kränkte 
ihn persönlich und ließ einen starken Stachel in ihm zurück, als der Reichs- 
kanzler Hohenlohe 1895 sanft, aber unerbittlich auf der Ausschiffung des 
Ministers des Inneren Ernst Matthias von Köller bestand, den der Kaiser 
persönlich gern mochte. Schon als Kronprinz hatte Wilhelm II. die während 
der neunundneunzig Tage mit stillschweigender Zustimmung des Fürsten 
Bismarck erfolgte Verabschiedung des Ministers Robert von Puttkamer, 
eines persönlichen Freundes, mit Bedauern gesehen und dieser seiner Emp- 
findung auch nach außen hin lebhaften Ausdruck gegeben. Franz Josef I. 
ließ seinen Jugendfreund Taaffe so gleichgültig abgehen wie den von ihm 
als „schlechten Österreicher“ gehaßten Giskra. Als Kaiser Franz Josef den 
Grafen Bernhard Rechberg, der ihm in kritischen Jahren seiner Regierung, 
von 1859 bis 1865, als Minister des Äußeren besonders nahegestanden 
hatte, nach Dezennien bei einem zufälligen Besuch in Schwechat unter den 
dort versammelten Honoratioren zum ersten Male wieder erblickte, fand 
er für den inzwischen einundneunzig Jahre alt gewordenen, in vielen Stel- 
lungen bewährten Staatsmann nur die Worte: „Wir haben uns lange nicht 
gesehen.“ Dem Deutschen Kaiser war niemand ganz gleichgültig. Pro oder 
contra nahm er zu jedem Stellung. Kaiser Franz Josef ließ, ohne sich äußer- 
lich etwas anmerken zu lassen, als ungarischen Minister Franz Kossuth 
über sich ergehen, dessen Vater Ludwig Kossuth als ungarischer Diktator 
auf dem Reichstag zu Debreczin 1849 die Absetzung des Hauses Habsburg- 
Lothringen vorgeschlagen und durchgesetzt hatte. Wilhelm II. sperrte sich 
während des ganzen Weltkrieges und noch im Sommer 1918 gegen meine 
Rückberufung zu den Geschäften, obschon ich dem Lande und ihm in 
langer Amtszeit einige Dienste hatte leisten können, nur weil er mir meine 
durch das Interesse des Reichs wie der Krone gebotene Haltung in den 
Novembertagen von 1908 ex post übelgenommen hatte. Andererseits 
lassen sich an Wilhelm II. viele menschlich gute und schöne Züge nach- 
weisen. 
Es wäre übrigens ein Irrtum, zu glauben, daß Wilhelm II. dem Kaiser 
Franz Josef persönlich sympathisch gewesen wäre. Der Habsburger 
schätzte die Bundestreue des Hohenzollern, er setzte Vertrauen in dessen 
Loyalität, aber persönlich ging Wilhelm II. dem so viel älteren und von ihm 
sehr verschiedenen Franz Josef auf die Nerven, so sehr er auch bemüht 
war, dies zu verbergen. Er sah Begegnungen mit Wilhelm II. mit Un- 
behagen entgegen, er begrüßte den Abschied von ihm mit einem Seufzer 
der Erleichterung. Er fand Wilhelm II. originell, aber nicht ganz würdig.
	        
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