FRANZ JOSEF GEGEN FERDINAND VON BULGARIEN 159
und Feinheit des Geistes den meisten Monarchen seiner Zeit überlegen,
aber er war während seiner mehrjährigen Dienstzeit im österreichischen
Heere ein mäßiger Husarenoffizier gewesen. Während Kaiser Franz Josef
bis in sein hohes Alter kerzengerade zu Pferde saß und jeden Graben nahm,
betrachtete Fürst Ferdinand das Pferd als seinen persönlichen Feind. Das
gefiel dem alten Kavalleristen Franz Josef nicht. Noch mehr, noch viel
mehr mißfiel ihm, daß Fürst Ferdinand seinen ältesten Sohn, den Kron-
prinzen Boris, zwei Jahre nach der katholischen Taufe durch eine neue, vom
Metropoliten von Rustschuk vorgenommene ortbodoxe Taufe in den Schoß
der „rechtgläubigen“ bulgarischen Landeskirche hatte aufnehmen lassen.
Kaiser Franz Josef war ein treuer Sohn der katholischen Kirche, aber weder
intolerant noch bigott. „Für drei neue Kavallerie-Regimenter“, äußerte
einmal ein langjähriger Generaladjutant Graf Paar, „gibt der Kaiser alle
Bischöfe.“ Die Staatsräson ging ihm über alles. Man konnte von ihm sagen,
daß er die verkörperte österreichische Staatsräson war, wenn auch nicht
geistig bedeutend genug, um immer dementsprechend zu handeln. Er war
weit entfernt von der glühenden Glaubensinbrunst seines Neffen, des Erz-
herzogs Franz Ferdinand, der einmal nach dem Vortrag eines Jesuiten-
paters über den Segen der Ferdinandeischen Gegenreformation diesem mit
leuchtenden Augen und bewegter Stimme erklärte, sein Vortrag sei für ihn,
den Erzherzog, einer der tiefsten und schönsten Eindrücke seines Lebens
gewesen. Kaiser Franz Josef war noch weiter entfernt von der Einfältigkeit
seines Neffen Karl, der, als er zum Unheil der habsburgischen Monarchie
und ihres deutschen Bundesgenossen den Thron bestieg, einen süddeutschen
Kapuziner bat, ihm für die Leitung des kompliziertesten und schwierigsten
Mechanismus der Welt, nämlich für die Führung der inneren und äußeren
Politik der österreichisch-ungarischen Monarchie, ein Regierungsprogramm
zu entwerfen. Und dieser biedere Konventuale war ein weniger bedenklicher
Gewissensrat als Angehörige anderer Orden, mit deren Hilfe Kaiser Karl
und Kaiserin Zita, seine intrigante Gemahlin, später den Verrat am deut-
schen Bundesgenossen einfädeln sollten, der sich für und durch die habs-
burgische Monarchie in den fürchterlichsten aller Kriege hatte verwickeln
lassen.
Was Kaiser Franz Josef dem Fürsten Ferdinand bei der Umtaufe seines
Sohnes übelnahm, war das, was der Kaiser Charakterlosigkeit nannte.
Er erzählte mir mit Wohlgefallen maliziöse Anekdoten über den Bulgaren-
fürsten, die er von seinem Minister des Äußeren, Graf Goluchowski, hatte,
der die Umtaufe des bulgarischen Kronprinzen fast noch strenger beur-
teilte als sein Souverän. Mit Serbien war der alte Kaiser zufriedener. Dort
bekämpften sich seit fast einem Jahrhundert die Häuser Obrenowitsch und
Karageorgewitsch mit den Praktiken, die im Hause der Atriden üblich