Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Erster Band. Vom Staatsseketariat bis zur Marokko-Krise. (1)

172 EIN ENTHUSIASMUS, DER SCHMILZT 
sagen lassen, im Unterricht sollten viel mehr als bisher Größe und Verdienste 
der römischen Kaiser gewürdigt werden. Dr. Bosse, der selbstverständlich 
dagegen war, bat mich um meine Unterstützung, die ich ihm, obwohl die 
Angelegenheit damals außerhalb meiner Kompetenz lag, doch gern ge- 
währte. Ich legte, und zwar auf einem Ausflug nach der Saalburg, dem 
Kaiser eingehend dar, daß unter den römischen Kaisern alles in allem die 
bösen die guten überwögen. Kein Reglement könne die Lehrer ver- 
hindern, ihre Schüler auf die Scheußlichkeiten von Domitian und Cara- 
calla, auf die Minderwertigkeit von Vitellius und Marcus Salvius Otho 
hinzuweisen, noch das halb oder ganz verrückte Scheusal Nero zu brandmar- 
ken. Dagegen kämen selbst Titus und Trajan schwer auf. Die gebildete Welt 
betrachte nun einmal die römische Kaisergeschichte mit den Augen eines 
der größten, der eindruckvollsten Historiker aller Zeiten, des durch Kraft 
wie durch Tiefe des Geistes gleich hervorragenden Cornelius Tacitus, aus 
dem noch heute zu uns die Tugenden sprächen, die das republikanische 
Rom groß gemacht hätten. Der Kaiser brummte ein wenig, dann ließ er 
den Gegenstand fallen und ist später nicht wieder darauf zurückgekommen. 
Dagegen blieb in seinem guten Gedächtnis für lange Jahre haften, was ich 
ihm auf der Saalburg als letztes und herrliches Wort des Kaisers Septimius 
Severus erzählte, der sterbend für seine Legionen als Losung ausgab: 
Laboremus! 
Was das französische Sprichwort von den Tagen sagt, qu’ils se suivent 
mais ne se ressemblent pas, galt auch von den Stimmungen des Kaisers Wil- 
helm II. Sein Enthusiasmus für die Cäsaren schmolz wie Schnee an der 
Sonne, als er ein Jahr später unter den Einfluß von Houston Stewart 
Chamberlain geriet, dessen Werk über die „Grundlagen des 19. Jahrhun- 
derts“ ihn so gepackt hatte, daß er jeden Abend daraus der Kaiserin und 
ihren Hofdamen vorlas, von denen bei dieser ernsten und schweren Lektüre 
die eine oder andere einzuschlafen pflegte. Damit soll nichts gegen den 
edlen Idealisten gesagt werden, der aus selbstloser Liebe zum deutschen 
Wesen, das ihm in und durch Bayreuth erschlossen worden war, aus einem 
Engländer zu einem Deutschen wurde, und ebenso wenig gegen sein be- 
deutendes Buch. Mit der Begeisterung Seiner Majestät für die römischen 
Kaiser verschwand glücklicherweise auch die Neigung, störend in den 
Gymnasialunterricht und insbesondere in die Pflege der klassischen Spra- 
chen einzugreifen. Es kam eine Zeit, wo den humanistischen Lebranstalten 
weit ernstere Gefahren drohen sollten von seiten einer Partei, die, schon 
weil ihre materialistische Geschichtsauffassung nur wirtschaftliche Triebe 
für das Leben der Völker gelten läßt, eine Gegnerin der auf die alten Spra- 
chen und die Ideenwelt der Antike begründeten humanistischen Bildung 
sein muß und damit echter und wahrer Kultur. Es ist zu besorgen, daß die
	        
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