WILHELM II. UND SEIN VATER 173
Preisgabe der allgemeinen Wehrpflicht, die uns im Versailler Frieden auf-
gezwungen wurde, auf die körperliche Haltung und die äußeren Formen
des Deutschen nicht grade günstig einwirken wird. Je mehr andererseits
die klassischen Sprachen aus dem Lehrplan unserer Schulen ausgeschaltet
und die humanistischen Lehranstalten eingeschränkt werden, je näher
rückt die Gefahr, daß der Deutsche, dem einst Goethe und Schopenhauer,
Wilhelm Humboldt und Friedrich Hölderlin die Fackel vorantrugen,
geistig zum Banausen und Böotier wird. Ob für solchen Niedergang unserer
Bildung sozialdemokratische Politik und Verwaltung einen ausreichenden
Ersatz gewähren werden?
Am Tage meiner Ernennung zum Staatsminister und Staatssekretär
der auswärtigen Angelegenheiten fand in Wiesbaden die Enthüllung eines
Denkmals für Kaiser Friedrich statt. Wilhelm II. interessierte sich für
Denkmäler seines Vaters nicht besonders lebhaft. An die neunundneunzig
Tage wie an die qualvolle Krankheit des Vaters dachte er ungern zurück.
Er wünschte, daß sein Vater nur als „der Kronprinz“ in der Geschichte
und in den Augen seines Volkes fortleben sollte. Er selbst faßte sich als den
direkten Nachfolger und Vollender seines Großvaters auf. Was Wilhelm I.
für die Armee geleistet hatte, wollte er für die Marine vollbringen. Wenn
Wilhelm I. die Einigung Deutschlands geglückt war, so wollte er deutsche
Seegeltung und damit deutsche Weltstellung begründen. Allerdings mit
der Einschränkung und mit dem wesentlichen Unterschiede, daß er sich
nicht, wie dies (nach seiner völlig irrigen Auffassung) seinem Großvater
widerfahren sei, den eigenen Ruhm durch Minister oder Kanzler, Generale
und Admirale verdunkeln lassen wollte. Die Regierung Kaiser Friedrichs
sollte nur ein Intermezzo sein, als „Kronprinz“ aber durfte er gefeiert
werden.
Huldigungen für Kaiser Friedrich als den Sieger von Weißenburg und
Wörth, noch besser als den Beschützer der Wissenschaften und der
Künste, stand, sofern sie keine taktlose Spitze gegen den Sohn trugen,
Wilhelm II. nicht so ablehnend gegenüber wie allem, was zur Verherr-
lichung des Fürsten Bismarck dienen sollte. Lucanus, obwohl persönlich
von Groll gegen Bismarck erfüllt, weil ihn dieser nach seinem Sturz als
den Überbringer der seidenen Schnur persönlich, und in der Tat mit
Unrecht, schlecht behandelt hatte, bedauerte doch aus Gründen der
Staatsräson, daß Wilhelm II. den an der Errichtung von Bismarck-
Monumenten und Bismarck-Fürmen als Künstler, Komiteemitglieder oder
Spender beteiligten Personen grundsätzlich keine Auszeichnung gewährte,
während auf alle, die sich bei der Errichtung von Denkmälern für WilhelmI.
herandrängten, Orden und Allerhöchste Photographien sich ergossen. Das
1901 errichtete Berliner Bismarck-Denkmal vor dem Reichstag ließ der
Ein Kaiser-
Friedrich-
Denkmal