Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Erster Band. Vom Staatsseketariat bis zur Marokko-Krise. (1)

194 BÜLOW PRIMUS 
Lage bei seiner Jungfernrede der große englische Parlamentarier Disraeli 
dem Parlament zugerufen hatte, jetzt lache man ihn aus, später würde man 
ihn anhören, und beschloß, im Notfall etwas Ähnliches zu sagen. Gott sei 
Dank unterließ ich diese nach Lage der Dinge völlig deplacierte Apostrophe, 
die eine Dummheit gewesen wäre, und führte meine Rede so ruhig zu Ende? 
wie ich sie begonnen hatte. Als ich mich wieder setzte, ersah ich aus den 
verstimmten Gesichtern meiner Kollegen, daß ich nicht allzu übel geredet 
haben könnte. Mein alter Freund Villers in Wien meinte einmal, was den Neid 
und die Eifersucht anlange, bestünde kein Unterschied zwischen dem 
Corps diplomatique und dem Corps de ballet. Was für das diplomatische 
Korps gilt, trifft erst recht für ein Kollegium von Ministern und Staats- 
sekretären zu. Das war früher so, und jetzt werden die Minister auch wohl 
kaum fein und lieblich wie Brüder einträchtig beieinander wohnen. Ich 
war berubigt, als ich Miquel hinter mir sagen hörte: „Bülow primus.“ 
Aus dem Munde dieses alten Parlamentariers, großen Redners und genialen 
Mannes tat diese Äußerung dem Neuling wobl. 
Am nächsten Morgen las ich in dem verbreitetsten Berliner Blatt, dem 
„Lokal-Anzeiger“: „Die Jungfernrede des Staatssekretärs von Bülow war 
geradezu eine Überraschung. Mochte man über die Wirksamkeit des Frei- 
herrn von Marschall urteilen, wie man wollte, daß er ein Redner ersten 
Ranges war, ließen auch seine erbittertsten Feinde gelten. Seinem Nach- 
folger war man ohne weiteres geneigt nach dieser Richtung hin mildeste 
Beurteilung zuzugestehen. Herr von Bülow kann getrost auf jede zarte 
Rücksichtnahme in der Beurteilung seiner rednerischen Qualitäten ver- 
zichten. Er ist zweifellos ein geborener Redner.“ Der Kaiser telegraphierte 
mir am nächsten Tage: „Von ganzem Herzen wünsche Ich Ihnen Glück 
zu der herrlichen Rede, mit der Sie vor dem Reichstag debütiert haben. 
Zugleich Meinen wärmsten Dank im Namen Meiner Marine. Der Eindruck 
scheint ein hervorragender zu sein.‘“ Schon vorher, wenige Stunden nach 
meinemMaidenspeechim Reichstag, hattemir Herbert Bi 
  
o 
Berlin, den 6. Dezember 1897 
Lieber Bülow, 
ich habe mich über Ihren heutigen glänzenden Erfolg im Reichstag von 
ganzem Herzen gefreut und muß meiner Empfindung mit einer warmen 
Gratulation Ausdruck geben. Im Hause habe ich mich lieber enthalten, 
Sie persönlich zu begrüßen, obgleich ich es objektiv gern getan hätte — wie 
die Sachen aber liegen, könnte Ihnen das höchstens Schaden bringen, nach 
mehr wie einer Richtung. Sie werden mich verstehen, ich wollte Ihnen diese 
Zurückhaltung aber doch selbst erklären und Ihnen sagen, daß sie lediglich 
mit Rücksicht auf Ihre Stellung erfolgte, von der niemand mehr wünschen
	        
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