Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Erster Band. Vom Staatsseketariat bis zur Marokko-Krise. (1)

LUCANUS NERVÖS 205 
Hand genommen hätte.“ Wobei übrigens noch die Frage ist, ob alles in 
allem dem Deutschen Reich mit dem Prinzen Heinrich als Kaiser nicht 
besser gedient gewesen wäre als mit dem weit begabteren, aber auch wider- 
spruchsvolleren, phantastischen und unzuverlässigen älteren Bruder. Die 
Rede des Prinzen Heinrich vom 15. Dezember war von dem Gedanken 
getragen, daß es dem Kaiser schwer geworden wäre, sich nicht in eigener 
Person an die Spitze des China-Unternehmens zu stellen. „„Euer Majestät‘, 
rief der Prinz, „haben die große Entsagung gehabt, mir dieses Kommando 
anzuvertrauen.‘“ Dafür dankte der Prinz aus ‚treustem, brüderlichstem 
und untertänigstem Herzen“. Er kenne sehr wohl die Gedanken Seiner 
Majestät und wisse, wie schwer das Opfer sei, wenn Seine Majestät ihm 
ein so schönes Kommando anvertraue. Das sei es, was ihn am tiefsten 
bewege. Er versichere aber Seiner Majestät, daß ihn nicht Ruhm noch Lor- 
beer locke, ihn ziehe nur eins: „das Evangelium Eurer Majestät geheiligter 
Person im Ausland zu künden, zu predigen jedem, der es hören will, und 
auch denen, die es nicht hören wollen.“ Das wolle er auf seine Fahne ge- 
schrieben haben und wolle es schreiben, wohin er immer ziehe. Die Rede 
schloß mit einem „Immer und ewig: hurra, hurra, hurra!“ 
Als ich mich nach Aufhebung der Tafel mit Lucanus in ein leerstehendes 
Zimmer zurückzog, um die ausgetauschten Trinksprüche vor ihrer Ver- 
öffentlichung durchzusehen, erklärte ich ihm, daß weder die „gepanzerte 
Faust‘ noch die exzentrischen Stellen der prinzlichen Antwort veröffent- 
licht werden dürften. Der Chef des Zivilkabinetts widersprach mit großer 
Bestimmtheit. Eine nun schon fast zehnjährige Erfahrung habe bewiesen, 
daß durch Vertuschen derartiger Entgleisungen die Sache nur schlimmer 
würde, denn gerade die frappanten Äußerungen fänden doch in irgendeiner 
Weise ihren Weg in die Presse. Auch würde die Unterdrückung derjenigen 
Stellen seiner Rede, die er als die schönsten betrachte, und vor allem die 
Verstümmlung der Huldigung seines Bruders den Kaiser tief verstimmen. 
„Wir haben uns‘, meinte Herr von Lucanus, „die größte Mühe gegeben, 
Eure Exzellenz heranzubringen. Ich, Hahnke, August Eulenburg, mancher 
andere. Wir halten Sie für den einzigen Mann, der imstande ist, auf der 
stürmischen See, in die unser Kaiser das Reichsschiff nun einmal gelenkt 
hat, das Fahrzeug zu steuern, ohne es auf Klippen oder Untiefen zu setzen. 
Wir halten Sie für den einzig möglichen Reichskanzler, wenn der alte 
Hohenlohe es nicht länger machen kann. Wenn Sie sich von vornherein in 
ein gereiztes Verhältnis zum Kaiser bringen, werden Sie es nicht lange trei- 
ben. Wenn Sie mir antworten sollten, daß Sie dann eben gehen würden, so 
sage ich Ihnen, daß ich Ihren Abgang aus solchen Gründen und unter 
diesen Umständen als eine Fahnenflucht betrachten würde. Nehmen Sie 
sich ein Beispiel an dem Chef des Generalstabs, dem Grafen Schlieffen,
	        
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