Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Erster Band. Vom Staatsseketariat bis zur Marokko-Krise. (1)

220 WILHELM II. FÜR DEN HIDALGO 
teils aus Abneigung gegen die republikanische Staatsform in Amerika, 
teils aus persönlicher Freundschaft für die österreichischen Brüder der 
Königin-Regentin von Spanien. Wilhelm II. gehörte zu den vielen Leuten, 
die gern glauben, was sie wünschen. Er war überzeugt, daß die Spanier als 
Sieger aus diesem Duell hervorgehen würden. In einem Marginal vom 
3. April 1898 erklärte er apodiktisch: „Der Hidalgo wird den Bruder Jona- 
than sicher verhauen, denn die spanische Flotte ist stärker als die ameri- 
kanische.‘“ Zu meinem Erstaunen glaubten auch manche unserer Militärs 
und sogar nicht wenige Marincoffiziere an die Überlegenheit der spanischen 
Flotte und des spanischen Heeres. Die Überschätzung der Österreicher, 
Russen und Spanier war bei uns seit jeher üblich wie die Unterschätzung 
der Franzosen, Italiener, Amerikaner und, wenigstens soweit ihre mili- 
tärische Leistungsfähigkeit in Frage kam, auch der Engländer. Ich war 
bemüht, den Kaiser davon zu überzeugen, daß wir uns strenger Neutralität 
und vorsichtiger Zurückhaltung aus vielen Gründen, aber auch deshalb 
befleißigen müßten, weil der Endsieg der Amerikaner sicher wäre. Die 
Spanier wären ein tapferes, ritterliches, ein nobles Volk mit einer ruhm- 
vollen Geschichte und mit stolzen Erinnerungen. Sie hätten der Welt 
große Dichter und große Maler geschenkt, aber die Amerikaner wären 
ihnen an Volkszahl wie an wirtschaftlichen Hilfsquellen zu sehr überlegen, 
als daß der Endausgang zweifelhaft sein könne. Ich habe gegen starke 
Widerstände und trotz mancher Seitensprünge an oberster Stelle einen 
dieser meiner Auffassung entsprechenden Kurs während des ganzen Ver- 
laufs des spanisch-amerikanischen Krieges eingehalten. Andererseits ver- 
hehlte der Kaiser weder seine Vorliebe für Spanien noch die Erwartung, 
daß die Landsleute des Cid die Oberhand behalten würden. Uuserer nach 
Ostasien gesandten Flotte war dieser Standpunkt Seiner Majestät wohl- 
bekannt. 
Wilhelm II. machte aus seinem Herzen um so weniger eine Mördergrube, 
als er wußte, daß die große Mehrheit des deutschen Volkes ebenso dachte 
und fühlte wie er. Unser Volk, das seit jeher in der Politik mehr dem Gefühl 
als kühler Erwägung folgt, sympathisierte mit den Spaniern gegen die 
Amerikaner, wie es bald nachher mit seinem ganzen Herzen auf der Seite 
der Buren gegen die Engländer stehen sollte. So hatte es einst für die Polen 
gegen die Russen geschwärmt und sollte sich während des Weltkriegs, gegen 
seine eigenen direkten und vitalen Interessen, wenigstens in gewissen 
Kreisen, mit Bethmann Hollweg, Friedrich Naumann, Hans Delbrück und 
anderen schlechten politischen Musikanten an der Spitze, wieder für Polen 
begeistern. Es liegt ein tiefer Sinn darin, daß nur in der deutschen Sprache 
das Wort „Kannegießer“ existiert, d. h. der Begriff des rein gefühlsmäßigen, 
allen Realitäten, vor allem dem eigenen Vorteil abgewandten, durchaus
	        
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