MANILA BESETZEN 221
theoretischen und unpraktischen Hin- und Herschwätzens über politische
Vorgänge. Wenigstens in seiner Neigung zum „Kannegießern“ war Wil-
helm II. ganz deutsch. Er telegraphierte mir im April 1898: „Tirpitz
ist felsenfest davon, überzeugt, daß wir Manila haben müssen und daß das
von enormem Vorteil für uns sein würde. Sobald die Revolution Manila
von Spanien losgerissen hat, müssen wir es besetzen.“ Der Kaiser glaubte
auf Grund der ihm von unserem Kreuzergeschwader zugegangenen Nach-
richten, daß die Spanier mit der Insurrektion auf den Philippinen nicht
fertig werden würden. Er war aber gleichzeitig überzeugt, daß die ameri-
kanische Flotte von der spanischen geschlagen werden würde. Dann,
meinte er, würde uns Manila als reife Frucht in den Schoß fallen. Vielleicht
würden die Spanier uns sogar bitten, die Ordnung auf den Philippinen
wiederherzustellen, und uns dann als Belohnung Manila anbieten. Durch
solche Phantastereien machte die schwere Niederlage der Spanier bei
Cavita einen dicken Strich. Ich war im Neuen Palais, als der Kaiser die
Nachricht von der Vernichtung der spanischen Flotte erhielt. Sein Er-
staunen über diese Wendung war ebenso groß wie seine Unzufriedenheit.
Er faßte sich aber bald und forderte mich in freundlichster Weise auf, das
Land und ihn ohne Schaden aus dieser Situation herauszuwickeln. Nun
hatte der Kaiser, in dessen Natur wie in der mancher Deutscher eine ge-
wisse gutmütige, halb naive Aufdringlichkeit lag, unserem Geschwader
empfohlen, sich eintretendenfalls möglichst in der Nähe einer etwaigen
spanisch-amerikanischen Seeschlacht zu halten, um aus der Beobachtung
einer solchen nützliche Lehren für uns zu ziehen. Der Kaiser freute sich
schon im voraus auf die zu erwartenden Berichte. Infolgedessen hatte sich
unsere Flotte dem eigentlichen Kriegsschauplatz viel zu sehr genähert.
Das erweckte in Amerika Mißtrauen und Unruhe. Von französischer
und noch mehr von englischer Seite wurde in das Feuer des amerikanischen
‘Mißtrauens möglichst viel Öl gegossen. Die Reklamesucht des Admirals
Dewey, des Siegers von Manila, tat das übrige. Es gelang mir, mit Unter-
stützung aller Parteien des Reichstages wie des ausgezeichneten ameri-
kanischen Botschafters in Berlin, Mr. White, nach und nach diese deutsch-
amerikanische Spannung beizulegen. Ein halbes Jahr nach dem spanisch-
amerikanischen Krieg konnte ich in meiner Reichstagsrede vom 11. Fe-
bruar 1899* feststellen, daß kein Grund vorhanden wäre, warum nicht
Deutschland und Amerika in guten Beziehungen zueinander stehen sollten.
Ich sähe keinen Punkt, wo sich die deutschen und die amerikanischen
Interessen feindlich begegneten, und auch in der Zukunft sähe ich keinen
Punkt, wo die Linien ihrer Entwicklung sich feindlich zu durchkreuzen
* Fürst Bülows Reden, Große Ausgabe I, 5. 44ff.; Kleine Ausgabe I, S. 69.