DIE BERICHTE DES KONSULS RAFFAUF 233
Moritz Busch, der sich schon Jahre vorher durch sein indiskretes Buch
„Bismarck und seine Leute“, das aber dem Fürsten vor der Veröffentlichung
vorlag, einen Namen gemacht hatte, das Entlassungsgesuch des Fürsten
Bismarck vom 18. März 1890. Dieses Schriftstück ließ keinen Zweifel
darüber, daß der letzte Grund für den Bruch zwischen Wilhelm II. und
Bismarck in der verschiedenen Beurteilung der gegenüber Rußland einzu-
schlagenden Politik zu suchen war. Der Konsul in Kiew, Raffauf, hatte
eine Reihe von Berichten über russische Rüstungen eingereicht, die mehr
von „furor consularis“, wie Bismarck übertriebenen Eifer der Konsuln
zu nennen pflegte, als von politischer Reife und ruhiger Überlegung zeugten.
Ich habe keinen Beweis dafür, daß Holstein den alarmierenden Eifer des
Konsuls angefeuert hatte. Ich möchte aber als sicher annehmen, daß,
wenn die an und für sich ziemlich unbeträchtlichen Raffaufschen Mel-
dungen sofort in die Hände des Kaisers gelangten, dies nicht ohne Mit-
wirkung von Holstein und, wie ich bei Besprechung des Rücktritts des
Fürsten Bismarck erwähne, wohl auch mit Wissen des Grafen Walder-
see geschah. Wilhelm II., der nur nach Vorwänden suchte, um den ihm
unbequem gewordenen Fürsten loszuwerden — quand on veut noyer son
chien, on dit qu’il est galeux, sagt der Franzose —, richtete nach Kenntnis
der Raffaufschen Meldungen ein gereiztes, in hohem Grade über-
triebenes und aufgeregtes Schreiben an den Kanzler, in dem er ihm in
ungezogenem Ton vorwarf, daß er seinem kaiserlichen Herrn die von Ruß-
land „furchtbar drohenden Gefahren“ verheimliche, auch nichts dagegen
tue. Nach diesem kaiserlichen Rügebrief haben wir mit Rußland noch
vierundzwanzig Jahre Frieden behalten und hätten den Frieden noch
länger bewahren können, wenn 1914 unsere Politik im Bismarckschen
Sinne geführt worden wäre. Der Konsul Raffauf, dem Wilhelm II. in
seinem Verweis an den Kanzler höchstes Lob spendete, wurde nach dem
Sturz des Fürsten Bismarck nach Galatz versetzt, von wo er sich 1892
oder 1893 bei mir in Bukarest meldete, als ich dort, von 1888 bis 1893, das
Deutsche Reich vertrat. Man sah dem unbedeutenden Männchen nicht an,
daß er eine Rolle in der großen Tragödie gehabt hatte, die sich im März
1890 in Berlin abspielte. Im Schachspiel kann auch das Hin- und Herziehen
eines Bauern dazu beitragen, daß der König matt gesetzt wird. In Ver-
gessenheit geraten, ist Raffauf später verschollen. Der Mohr hatte seine
Arbeit getan, der Mohr konnte gehen.
Einige Tage nach der Einsegnung der Leiche des Fürsten Bismarck in
Friedrichsruh fand in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche in Berlin eine
Trauerfeier statt, der die Majestäten beiwohnten. Nach Beendigung des
Gottesdienstes beschied der Kaiser die Minister, den Reichskanzler Hohen-
lohe an der Spitze, in die Sakristei, wo er eine Ansprache an uns hielt, die
Trauerfeier
in Berlin