Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Erster Band. Vom Staatsseketariat bis zur Marokko-Krise. (1)

Gesetz zum 
Schutz der 
Arbeits- 
willigen 
238 DAS ZUCHTHAUSGESETZ 
mit dem Fürsten Hohenlohe bemüht, dahin zu wirken, daß bei diesem 
Anlaß wederdernicht von unedlen Absichten erfüllte russische Kaiser vor den 
Kopf gestoßen, noch insbesondere in der Welt die Meinung erweckt würde, 
als ob die Fortdauer der von allen Völkern schwer empfundenen Rüstungen 
und die unleugbare Spannung der internationalen Lage auf das deutsche 
Volk zurückzuführen wäre, das doch in Wahrheit und tatsächlich alles in 
allem das friedlichste Volk der Welt war und ist. Ich zitierte hierbei das 
Wort, das mir vor Jahren in Wien eine geistvolle Dame, die Fürstin Elise 
Salm, geborene Prinzeß Liechtenstein, als Rat auf den Lebensweg mit- 
gegeben hatte: „Vor allem, übernehmen Sie möglichst selten die odiose 
Rolle.“ 
Bei dem Paradefestmahl, das am 5. September in Minden bei den Ma- 
növern des 7. Westfälischen Armeekorps stattfand, kam der Kaiser wieder 
einmal auf den Lippeschen Streitfall zu sprechen, der allmählich, um ein 
unschönes Bild zu gebrauchen, einem Pickel glich, der durch beständiges 
Reiben schließlich zu einer gefährlichen Entzündung wird. Er spendete 
„den Söhnen Bückeburgs“ enthusiastisches Lob, die in „herrlicher Weise“ 
vorbeigekommen wären, erwähnte aber die unglücklichen Detmolder nicht, 
so daß es schien, als ob letztere, seitdem sie von einem Biesterfelder 
regiert wurden, beinahe so schlecht marschierten, als wären sie keine guten 
Christen. Folgenschwer war der Trinkspruch, den der Kaiser am 6. Sep- 
tember 1898 in Oeynhausen hielt und in dem er ein Gesetz zum Schutz 
der Arbeitswilligen ankündigte. Der Schutz der Arbeitswilligen ist, wie die 
ganze Streikgesetzgebung, wie überhaupt die Behandlung aller Konflikte 
zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, eine der kompliziertesten und 
delikatesten Fragen der Gesetzgebung und der Verwaltung. Wenn irgend- 
wo, so bedarf es hier einer festen, aber auch besonnenen und vorsichtigen 
Hand. Indem der Kaiser in seiner Oeynhausener Rede von vornherein 
und noch vor der Beratung der von ihm in Aussicht gestellten Vorlage 
mit solchem Nachdruck und in ganz allgemeinen Wendungen erklärte, 
daß jeder, er möge sein, wer er wolle, und heißen, wie er wolle, der einen 
deutschen Arbeiter, der willig wäre, seine Arbeit zu vollführen, daran zu 
hindern versuche oder gar zu einem Streik anreize, mit Zuchthaus bestraft 
werden solle, gefährdete er selbst, und in hohem Grade, die Annahme der 
Vorlage, die er doch lebhaft wünschte. Er tötete wieder einmal, wie sich 
der bayrische Gesandte Graf Hugo Lerchenfeld gern ausdrückte, das Kind 
im Mutterleibe. Die übertriebene Härte der kaiserlichen Ausdrucksweise 
war darauf zurückzuführen, daß der Kaiser wenige Stunden vor seiner 
Rede ein langes Gespräch mit seinem Erzieber, dem Geheimrat Hinzpeter, 
gehabt hatte, der den seiner Überzeugung entsprechenden Standpunkt der 
Arbeitnehmer vertrat. Das hatte den Kaiser verstimmt, und um Hinzpeter,
	        
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