GEGEN DIE ANARCHISTEN 239
der ihm an der Tafel gegenübersaß, zu zeigen, daß er seinen eigenen
scharfen Standpunkt aufrechterhalte, verstieg er sich zu der bedenklichen
Pointierung seiner Rede. Wilhelm II., der eine seltene Gabe der Rede besaß,
der so hinreißend und begeisternd sprechen konnte wie wenige andere und
der mit dieser Gabe viele Herzen hätte erwärmen, viele Köpfe klären und
viel Gutes stiften können, hatte eine unglückliche Neigung, Schlagworte in
Umlauf zu setzen, die sich hinterher gegen ihn selbst und auch gegen das
deutsche Volk wendeten. So war es mit der „gepanzerten Faust‘ gegangen,
so ging es mit der Stempelung der Arbeitswilligen-Vorlage zum „Zuchthaus-
gesetz‘, so später mit der „Hunnen-Rede“, mit der „Schwarzscher-Rede“
und mit manchen anderen kaiserlichen Reden.
Während ich bei meiner Frau auf dem Semmering weilte, wurde am
10. September 1898 die Kaiserin Elisabeth von Österreich in Genf von dem
italienischen Anarchisten Luccheni ermordet. Kaiser Wilhelm sagte sich
zum Begräbnis an, und ich fuhr vom Semmering nach Wien, um ihn dort
zu erwarten. Auf dem Perron stand, zehn Minuten vor dem Eintreffen des
Berliner Zuges, in immer gleich vornebmer Haltung Kaiser Franz Josef.
Er hatte nach dem Empfang der Nachricht von der Ermordung seiner Frau
zu einem Herrn seiner Umgebung gesagt: „Nun kann mich gar nichts mehr
treffen, alles habe ich durchmachen müssen.“ In der Umgebung des Kaisers
war eine gewisse Erleichterung eingetreten, als auf das erste Telegramm aus
Genf, das nur die Todesnachricht enthielt, ein zweites folgte, das die Er-
mordung meldete. Das Gefolge des Kaisers hatte gefürchtet, daß die Kaise-
rin, die den Tod ihres einzigen Sohnes nie verwunden hatte, eine melancho-
lische Natur war und sehr frei dachte, sich ums Leben gebracht haben
könnte. Die Ermordung erschien gegenüber dem Selbstmord als das kleinere
Übel. Mir sagte der Kaiser, der mich sogleich und freundlich begrüßte: „Ich
darf die Kaiserin nicht beklagen. Sie hat den Tod gefunden, den sie sich
immer gewünscht hat: rasch und schmerzlos.““ Nach der Trauerfeierlichkeit
in der Stefanskirche sagte mir der österreichische Minister des Äußeren,
mein alter Freund Graf Agenor Goluchowski: „Ihr Kaiser hat, spontan und
generös wie immer, meinem Kaiser nicht nur in flammenden Worten seine
Entrüstung über die abscheuliche Mordtat ausgesprochen, sondern ein
sofortiges gemeinsames Vorgehen gegen die Anarchisten vorgeschlagen.
Ich bitte Sie dringend, davon abzusehen. Es wäre dem Kaiser Franz Josef
schr unerwünscht, wenn ein noch so schmerzlicher, persönlicher Trauerfall,
der ihn betroffen hat, zum Ausgangspunkt staatlicher Maßnahmen und.
politischer Schritte gemacht würde, die überdies unsere Beziehungen zu
Italien wie zur Schweiz gefährden könnten.‘ Die Ermordung der allgemein
verehrten, edlen und schönen Kaiserin Elisabeth hatte auch keinerlei
politische Folgen, während im schwarzen Hochsommer 1914 der Tod des
Tod der
Kaiserin
Elisabeth