Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Erster Band. Vom Staatsseketariat bis zur Marokko-Krise. (1)

SPIONAGE 241 
Großmächte. Unsere geheimen Fonds waren lächerlich gering im Vergleich 
zu den Summen, über die England, Rußland und Frankreich geboten und 
die sie auch verwendeten. Dadurch waren wir ihnen gegenüber in einer schr 
ungünstigen Lage. Der Reichstag konite sich in Friedenszeiten nicht ent- 
schließen, die nötigen Summen für den Nachrichtendienst zu bewilligen, 
teils in der unbegründeten Furcht, der geheime Fonds könnte für inner- 
politische Zwecke mißbraucht werden, teils aus Pfennigfuchserei, teils und 
wohl vorzugsweise, weil der deutsche Politiker nun einmal dazu neigt, alle 
politischen Fragen und Vorgänge vom Standpunkt einer spieß- und klein- 
bürgerlichen Betrachtungsweise zu behandeln. 
Als wir, um mit Tirpitz zu reden, in den Weltkrieg hineingeschlittert 
waren, verfielen wir hinsichtlich des Nachrichtendienstes in das entgegen- 
gesetzte Extrem. Nun wurden, namentlich durch Erzberger, Millionen über 
Millionen, meist in ungeschickter, bisweilen in sinnloser Weise und ohne 
wirklichen Nutzen verpulvert. Was sich auch mit kleineren Summen bei 
richtiger Anwendung erreichen läßt, konnte ich während der bosnischen 
Krise beobachten. Ich gab damals einem Vertrauensmann in Paris eine 
verhältnismäßig sehr bescheidene Summe zu dem Zweck, eine verständige 
Beurteilung der bosnischen Frage herbeizuführen. Ich schärfte ihm hierbei 
ein, nicht den Versuch zu machen, ganze Blätter zu gewinnen, sondern sich 
nur an einzelne Mitarbeiter zu halten; auch kein Eintreten für Deutschland 
zu verlangen, sondern nur darauf hinzuweisen, wie töricht es sein würde, 
wenn Frankreich für andere die Kastanien aus dem Balkanfeuer holen 
wollte. Ich las bald nachher eine ganze Anzahl französischer Artikel, in 
denen die europäische Lage verständig besprochen wurde, und das für 
kleine Gefälligkeiten, die alles in allem hunderttausend Mark kaum über- 
schritten. 
Die Dreyfus-Angelegenheit, l’Affaire, wie die Franzosen sie nannten, hat 
Jahre hindurch Frankreich zermürbt und gelähmt, bis der bewunderungs- 
würdige, für uns nachahmenswerte französische Patriotismus auch diesen 
tiefgehenden, häßlichen Zwist unterdrückte, wie er die mit äußerster 
Leidenschaft geführten Kämpfe zwischen dem französischen Staat und der 
katholischen Kirche überwand, um alle Franzosen auf der Einheitsfront 
der Revanche, das heißt der Wiedergewinnung von Straßburg und Metz 
und der Zurückeroberung der alten französischen Vorherrschaft auf dem 
europäischen Kontinent, zu einigen. 
18 Bitow I
	        
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