VOM RITTMEISTER ZUM FLÜGELADJUTANTEN 243
Verwaltung und der preußischen Armee, nicht unähnlich, mit dessen ernster
Strenge und unermüdlicher Arbeitskraft er im übrigen nicht viele Be-
rührungspunkte hatte. Eine der ersten Handlungen des auf den Thron
gelangten Kronprinzen Wilhelm war am 16. Juni 1888 gewesen, daß er dem
Rittmeister im 1. Gardeulanenregiment von Scholl telegraphierte, er
habe ihn zu seinem Flügeladjutanten ernannt. Scholl war von Geburt
Hessen-Darmstädter, hatte ursprünglich bei den hessischen Dragonern
gestanden und war von dort wegen seiner stattlichen Erscheinung in ein
Potsdamer Gardekavallerieregiment versetzt worden. Scholl band sich
nach Empfang des kaiserlichen Telegramms hocherfreut die Schärpe um
und stürzte nach dem Neuen Palais, um sich bei Seiner Majestät zu melden.
Der diensttuende Generaladjutant von Winterfeldt frug den erregt aus-
schauenden Ulanenrittmeister, was erin diesem Augenblick im Kaiserlichen
Schloß wolle. Als Scholl erwiderte, er sei zum Flügeladjutanten Seiner
Majestät ernannt worden, nahm ihn Winterfeldt schonend unter den Arm
und führte ihn in ein Nebenzimmer, wo er zwei dort anwesende höhere
Offiziere leise bat, den Ulanen zu beobachten und nicht entweichen zu
lassen; dieser scheine infolge der aufregenden Ereignisse der letzten Tage
übergeschnappt zu sein. General von Scholl, der seit diesem Tage zur stän-
digen Umgebung des Kaisers gehörte, war ein wackerer Mann, dessen aus-
gesprochene Darmstädter Mundart den Kaiser anheimelte, den so viele
Jugenderinnerungen an Hessen knüpften.
Ich hatte mir als Amanuensis den Legationsrat Klehmet aus dem Aus-
wärtigen Amt mitgenommen. Der Kaiser, der mit seinem guten Herzen
sich an Menschen leicht anschloß, stand bald in einem freundlichen Ver-
hältnis zu dem Legationsrat, der sich durch Tüchtigkeit aus bescheidenen
Verhältnissen emporgearbeitet hatte und wegen seiner Arbeitskraft
namentlich von Holstein geschätzt wurde. Klehmet trug, wenn wir auf dem
Marsch von Haifa nach Jerusalem abends das Nachtquartier bezogen, gern
einen roten türkischen Fes, und der Anblick des preußischen Geheimrats
mit einer türkischen Kopfbedeckung bereitete Seiner Majestät immer neues
Vergnügen. Die Gunst Seiner Majestät für Klehmet sollte elf Jahre später,
im November 1908, bei dem Zwischenfall des „Daily Telegraph“-Artikels,
von ungünstiger Wirkung sein. Wenn Klehmet mich damals nicht ernstlich
auf die hochgefährlichen Stellen in dem Artikel des englischen Blattes auf-
merksam machte, so unterblieb dies zum guten Teil deshalb, weil er über-
zeugt war, der Kaiser brenne darauf, seine in Higheliffe vor vielen Eng-
ländern gehaltenen Vorträge gedruckt in den Zeitungen zu lesen, und nicht
in den Verdacht kommen wollte, Seiner Majestät diese Freude verdorben
zu haben.
Oberstallmeister Graf Ernst von Wedel, im Unterschied zu verschiedenen
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Legationsrat
Klehmet