Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Erster Band. Vom Staatsseketariat bis zur Marokko-Krise. (1)

258 DER GROSSE SALADIN 
Berlin zogen mit dem in gleichförmigem Takt immer wiederholten Rufe: 
„Hoch — Liebknecht! Nieder — Ebert!“ Es scheint, daß unseren Kom- 
munisten diese Art von monotonem, aber gerade dadurch wirksamem Gesang 
von russischen Bolschewisten unter Hinweis darauf empfohlen worden war, 
daß damit in Rußland gute Erfolge für den Sowjet-Stern erzielt worden 
wären. Ein neuer Beweis dafür, wieviel Asiatisches das Russentum in sich 
birgt. Noch mehr als das immer wieder ertönende „Lululu“ der Bevölkerung 
erfreuten den Kaiser zwei syrische Soldaten, die der Sultan ihm beigegeben 
hatte. Der Kaiser behauptete, diese Syrier, stattliche Gestalten mit fun- 
kelnden Augen, hätten von dem Beherrscher der Gläubigen den Befehl, jeden 
niederzustechen, der den Freund des Kalifen, den Deutschen Kaiser, 
scheel anschaue. Jedenfalls saßen die beiden Tapferen, in der Hand ein 
Riesengewehr mit einem langen Bajonett an der Spitze des Gewehrs, auf 
dem Bock des kaiserlichen Wagens und warfen fürchterliche Blicke um sich. 
Als in Damaskus der Scheich Abdobah Effendi auf dem Festmahl, das 
die Stadt dem Deutschen Kaiser zu Ehren gab, ihn mit freundlichen Worten 
begrüßte hatte, hielt Wilhelm II. eine Rede, in der er mit enthusiastischen 
Worten für den herrlichen Empfang der Stadt Damaskus dankte. Er sei 
tief ergriffen von diesem überwältigenden Schauspiel, zugleich aber bewegt 
von dem Gedanken, an der Stelle zu stehen, wo einer derritterlichsten Herr- 
scher aller Zeiten, der große Sultan Saladin geweilt habe, ein Ritter ohne 
Furcht und Tadel, der oft seine christlichen Gegner die rechte Art des 
Rittertums hätte lehren müssen. „Möge Seine Majestät der Sultan und 
mögen die dreihundert Millionen Mohammedaner, die, auf Erden zerstreut 
lebend, in ihm ihren Kalifen verehren, dessen versichert sein, daß zu allen 
Zeiten der Deutsche Kaiser ihr Freund sein wird.“ Nach Aufhebung der 
Tafel ließ ich mir den Stenographen kommen, der uns begleitete, um etwaige 
kaiserliche Ansprachen aufzunehmen, und sagte ihm, daß er diese Rede 
nicht veröffentlichen dürfe, bevor ich sie korrigiert hätte. Er erwiderte mit 
ziemlicher Verlegenheit, auf Weisung des Botschafters von Marschall, der 
sich auf einen direkten kaiserlichen Befehl berufen habe, sei das Telegramm 
an Wulff sofort und schon seit geraumer Zeit abgegangen. Ich hatte darauf- 
hin eine ernste Auseinandersetzung mit Marschall, dem ich sagte, ich ver- 
stünde, daß er die Dinge mehr von seinem gegenwärtigen Standpunkt, 
d.h. als Botschafter bei den Türken, auffasse. Ich hätte aber die Pflicht, 
Übertreibungen dieses diplomatischen „Schwadronstandpunkts“ zu ver- 
hindern, die einerseits in Konstantinopel gefährliche Illusionen erwecken, 
andererseits Franzosen, Engländer und Russen, die über Millionen von 
mohammedanischen Untertanen geböten, mißtrauisch machen und gegen 
uns verstimmen könnten. Ich habe die Beziehungen zur Türkei während 
meiner ganzen Amtszeit sorgsam gepflegt, und es gibt keinen türkischen
	        
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