REVANCHE UND FRIEDEN 273
hatte, glaubten viele Leute in Deutschland, das „Duobus litigantibus,
tertius gaudet‘‘ müsse Motiv und Ziel der deutschen Politik sein. Ich habe
auch später gelegentlich im Reichstag darauf hingewiesen, daß wir nicht
von der Feindschaft zwischen anderen Mächten leben könnten. Ich habe
unter vier Augen mehr als einem deutschen Politiker und Publizisten aus-
einandergesetzt, das sicherste Mittel, Streit zwischen anderen Mächten zu
verhindern, sei, daß wir Sehnsucht nach solchen Differenzen verrieten und
die Freude des Tertius gaudens gar zu naiv zur Schau trügen. Aber die un-
politische, die meist mit dem Gefühl, selten mit kalter Überlegung operie-
rende Art der Söhne des Teut verfiel immer wieder in diesen Fehler. Die
Stimmung der Franzosen uns gegenüber ist nie besser charakterisiert wor-
den als durch jenes von mir bereits erwähnte Wort: „La France desire la
revanche, mais elle veut la paix.‘““ Frankreich hat seit 1871 niemals weder
das Straßburger Münster noch die Metzer Kathedrale noch vor allem die
beherrschende Stellung vergessen, die es im Laufe der letzten Jahrhunderte
wiederholt in Europa einnahm. Solche Wünsche lebten als Unterströmun-
gen in fast allen französischen Herzen fort. Damit sie es aber auf den Krieg
ankommen ließen, mußte den Franzosen eine Situation geboten werden,
wie sie durch das Ungeschick unserer politischen Leitung im Sommer 1914
plötzlich vor ihnen lag: die von unserer Seite erfolgte Kriegserklärung an
Rußland, die ebenfalls von uns ausgehende Kriegserklärung an Frankreich
selbst, die daraus hervorgehende Möglichkeit für Italien und Rumänien,
sich nach dem Wortlaut der Verträge ex nexu foederis zu setzen, die Inva-
sion Belgiens, die der englischen Regierung die Möglichkeit gab, und ihr
nach englischer politischer Tradition fast die Pflicht auferlegte, gegen uns
vorzugehen, und endlich, last not least, Reden und Worte des deutschen
Kanzlers Bethmann, die von vornherein alle Imponderabilien in das Spiel
unserer Gegner brachten.
England gegenüber lagen die Verhältnisse auch 1898 anders als mit
Frankreich. Von Unversöhnlichkeit war dort keine Rede. Es bestand in
England viel Neid gegen uns, auch Mißtrauen und Abneigung namentlich in
höheren Kreisen. Der Prinz von Wales mochte die Deutschen nicht und
haßte seinen Neffen, den Kaiser Wilhelm. Es gab aber andererseits weite
englische Kreise, und zu diesen gehörten viele der besten und ehrenwertesten
Engländer, denen ein Krieg zwischen Deutschland und England als ein
Verbrechen erschien. Ich hatte im Sommer 1898 in vollem Einvernehmen
mit unserem Botschafter in London, dem Grafen Paul Hatzfeldt, einen
Versuch gemacht, uns mit England über afrikanische Fragen in einer Weise
zu verständigen, durch die berechtigte Empfindungen anderer nicht ver-
letzt werden konnten und die gleichzeitig den Interessen der beiden Kon-
trahenten gleichmäßig Rechnung trug. Es kam mir dabei nicht nur auf das
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Deutschland
und England
1898