Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Erster Band. Vom Staatsseketariat bis zur Marokko-Krise. (1)

MARSCHALLS „GESUNDHEITSZUSTAND“ 7 
machen und damit meine Hilfsbedürftigkeit gegenüber dem großen 
Geheimrat erhöhen, der unter Hohenlohe, unter Caprivi und durch 
seinen alten und starken Einfluß auf Herbert schon in den letzten 
Jahren der Aera Bismarck der maßgebende Mann im Auswärtigen Amt 
gewesen war. 
Während mir Holstein in allen Tonarten zuredete, mir in Berlin und 
namentlich in Kiel alle Wege offenzuhalten, trat ein Kanzleidiener herein, der 
mich zum Staatssekretär bat, oder vielmehr er sprang herein. Die Kanzlei- 
diener waren durch Herbert Bismarck so angelernt, und sie waren durch 
ihn in eine solche beständige Anspannung und Furcht versetzt worden, daß 
die Art und Weise, wie sie auf einen Ruf der Klingel in das Zimmer des 
Staatssekretärs stürzten, an den Sprung erinnerte, mit dem eine Forelle 
über ein Hindernis schnellt. Während meiner zwölfjährigen Amtstätigkeit 
konnten sie sich wieder einer ruhigen Gangart befleißigen. Ich habe selten 
tüchtigere, bravere, ausgezeichnetere Menschen gekannt als die Kanzlei- 
diener im Auswärtigen Amt. Man brauchte nur in ihre guten, treuen 
Gesichter zu blicken, um zu fühlen, daß wie den preußischen Leutnant so 
auch den preußischen Unterbeamten uns kein Land der Welt nachmacht. 
Ich werde diesen ausgezeichneten Männern Mießner und Neumann, Söch- 
ting und Tagge immer ein dankbares und freundschaftliches Andenken 
bewahren. 
Ich fand den Staatssekretär von Marschall sehr verstimmt. Er hatte die 
„Norddeutsche Allgemeine Zeitung‘ vor sich und las mir das boshafte 
Entrefilet vor, mit dem das hochoffiziöse Blatt meine Berufung nach Berlin 
verkündet hatte: „Der kaiserliche Botschafter in Rom von Bülow wird 
dem Vernehmen nach heute von dort abreisen, um sich an das Hoflager 
Seiner Majestät des Kaisers zu begeben. Man geht wohl nicht fehl, wenn 
man annimmt, daß diese Reise mit dem Gesundheitszustand des Staats- 
sekretärs Freiherrn von Marschall in Zusammenhang steht.“ 
Dieser Hinweis mit dem Zaunpfahl auf seinen durch Arbeit und Angriffe 
erschütterten Gesundheitszustand hatte Herrn von Marschall nicht mit 
Unrecht gekränkt. Er witterte hinter dieser perfiden Auslassung seinen 
intimen Feind Kiderlen. Wie manche Söhne des schönen Musterländle liebte 
Marschall weder die „groben“ Bayern noch die „tückischen“ Schwaben. 
Er wußte, daß Kiderlen ihn auf dem Berliner Kasino und anderswo oft 
lächerlich gemacht hatte, indem er in seiner drolligen Weise erzählte, 
daß Marschall, der bei seiner Ernennung kein Wort Französisch noch 
Englisch gekonnt hätte, seitdem mit einer französischen Gouvernante 
rechts, einer englischen links in seinem Garten spazierengebe, um auf diese 
Weise in die Geheimnisse der beiden Weltsprachen einzudringen. Kiderlen 
hatte auch mit Wonne das grausame Wort des Fürsten Bismarck über den 
Beim 
Freiherrn 
von Marschall
	        
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