8 PRO PATRIA
„Ministre &tranger aux affaires“ kolportiert. Nachdem er seinem Unmut
über derartige „Rüpeleien‘‘ Luft gemacht hatte, sprach mir Marschall in
ernsten Worten seine Befriedigung aus, daß ich und nicht etwa Kiderlen
oder Monts zu seinem Nachfolger ausersehen wäre. Ich würde es in mancher
Beziehung besser haben als er. Er sei daran gescheitert, daß er trotz seiner
alten Beziehungen zum Hause Bismarck, die ja wie die meinigen bis in
unsere Frankfurter Jugendzeit zurückreichten, und trotz seiner innerlichen
Bewunderung für den großen Mann durch die Macht der Verhältnisse in
scharfen Gegensatz zu Bismarck, Vater und Sohn, gedrängt worden sei.
Ich könne mit reiner Weste vor die Bismarcks treten. Auch sei er, Marschall,
wiewohl aus der konservativen Partei hervorgegangen, doch genötigt ge-
wesen, manchen Strauß gerade mit dieser Fraktion auszufechten, die ihn
als Abtrünnigen betrachte und dementsprechend behandele. Endlich habe
er trotz seiner konservativen Vergangenheit und obschon er beispielsweise
ein ausgesprochener Bimetallist gewesen sei, Handelsverträgen zustimmen
müssen, mit denen die Agrarier sehr unzufrieden wären. Ich könne mein
Amt mit der Überzeugung antreten, daß ich es in allen Dingen leichter
haben würde alser und darum auch dem Lande ersprießlichere Dienste leisten
könne, als er dies durch die unglückseligen Folgen der Entlassung des Fürsten
Bismarck und unter dem direkten Eindruck dieser Entlassung vermocht
hätte. Auch sei ich durch meinen ganzen Lebensgang mehr Diplomat als
er und kenne das Ausland besser. Jedenfalls wisse er, daß mir wie ihm selbst
das Wohl des Vaterlandes über allem stehe: Ich möge annehmen, pro patria.
Nur leise und mit Würde ließ Marschall durchblicken, daß er zwar an-
gegriffen, weil abgearbeitet, sei, aber nicht so krank, um nicht noch
gute Dienste leisten zu können. Er übernähme gern eine Botschaft. Peters-
burg traue er sich nicht recht zu, es sei ein gar zu glattes Terrain, auch
habe er ja unter dem Einfluß von Holstein einen großen Anteil an der
Nichterneuerung des Rückversicherungsvertrages mit Rußland genommen
und sie sogar im Reichstag verteidigen müssen. London sei auch aus-
geschlossen, da er die Verantwortung für die Krügerdepesche, was er
auch über ihre Vorgeschichte zu seiner Entschuldigung vorbringen
könne, nicht ablehnen wolle. In Wien sei Graf Philipp Eulenburg wohl
inamovibel. Bliebe noch Rom und Konstantinopel, für welche Posten er
sich auch am besten eignen dürfte. Er wisse, daß stark gegen seine Wieder-
verwendung im Dienste gearbeitet werde, rechne aber auf mein Wohl-
wollen und meine Unterstützung. Unsere Eltern wären ja schon in der
guten alten Bundestagszeit befreundet gewesen. Ich konnte Herrn von
Marschall mit gutem Gewissen versichern, daß nicht nur Erinnerungen der
Vergangenheit, sondern vor allem das Interesse des Dienstes es mir
ließe, seine Fähigkeiten für das Land zu verwerten,