Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Erster Band. Vom Staatsseketariat bis zur Marokko-Krise. (1)

DER KAMPF UM DEN KANAL 293 
Hatzfeldt, geteilt. Er schrieb an Holstein noch vor dem Ausbruch der 
Feindseligkeiten in Südafrika: „Zu meinem Erstaunen höre ich, daß in den 
Büros unseres Auswärtigen Amts eine gewisse Verwunderung, vielleicht 
sogar Unzufriedenheit darüber herrscht, daß ich mich für die Erhaltung des 
Friedens in Südafrika interessiere und in diesem Sinne arbeite. Nächstens 
wird wohl noch behauptet werden, daß ich dabei irgendein persönliches 
Interesse habe. Dagegen liegt die Sache so, daß ich im Anfang allerdings im 
Zweifel war, ob der Ausbruch des Krieges nicht vorteilhaft für uns sein 
würde. Sie sprachen damals eine andere Ansicht aus, zu welcher ich mich 
dann bekehrt habe. Noch heute würde ich der Ansicht sein, daß der Krieg 
für uns wünschenswert ist, wenn ich irgendeine Hoffnung sehen könnte, daß 
Rußland oder Frankreich für den Transvaal einträten und es dabei auf einen 
Konflikt mit England ankommen lassen würden. Diese Hoffnung aber 
scheint mir vollständig ausgeschlossen, und ich vermag nicht zu sehen, 
welchen Vorteil wir unter diesen Umständen vom Krieg haben würden. Es 
ist nicht anzunehmen, daß England, wenn es mit den Buren allein zu tun 
hätte, dadurch in eine so schwierige Lage geriete, daß es für unsere Freund- 
schaft große Opfer bringen müßte. Ebensowenig Vorteil würden wir davon 
haben, wenn England schließlich den Transvaal annektiert oder wenn das 
Ende ist, daß sich aus Südafrika eine Republik entwickelt, die kein ange- 
nehmer oder bequemer Nachbar für uns sein würde.“ 
In der inneren Politik stand im Sommer 1899 die Kanalvorlage im 
Vordergrund. Kein ruhig Urteilender wird heute bestreiten, daß Kaiser 
Wilhelm im vollen Rechte und auf dem richtigen Wege war, als er den Bau 
von zwei neuen Kanälen in Aussicht nahm, des Dortmund-Rhein- und des 
Mittelland-Kanals. Der Ausbau unseres Kanalnetzes war in jeder Bezie- 
hung, aus wirtschaftlichen wie aus strategischen und nationalen Gründen 
gleich wünschenswert. Die dagegen vorgebrachten Argumente gingen aus 
partikularistischen Erwägungen, Kirchturminteressen und Fraktionsrück- 
sichten hervor, die im deutschen Leben leider seit jeher eine so bedauerliche 
Rolle gespielt und unseren größten Dichter zu dem grausamen Ausspruch 
geführt haben, der Deutsche sei im einzelnen achtungswert, im ganzen 
miserabel. Das Durchgehen der Kanalvorlage wurde um die Wende des 
Jahrhunderts allerdings in hohem Grade durch das persönliche Eingreifen, 
Reden, Telegraphieren und Drohen des Kaisers erschwert, der ähnlich wie 
bei der Arbeitswilligen-Vorlage das Kind im Mutterleibe erschlug. Je 
stürmischer er trotz aller Gegenvorstellungen seiner Ratgeber für die 
Kanalvorlage eintrat, um so leichter wurde es den Gegnern, sie als ein Pro- 
dukt kaiserlicher Laune hinzustellen, was sie in Wirklichkeit gar nicht war. 
Fast unhaltbar wurde durch das impetuose Vorgehen des Monarchen die 
Stellung des Finanzministers Miquel, auf dessen Schultern bei dem hohen 
Der 
Mittelland- 
kanal 
und Miquel
	        
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