DIE KAISERIN FÜRCHTET DIE ENGLANDREISE 303
Erwartung des russischen Kaiserpaars und dem Usus der Höfe begleitete
die Deutsche Kaiserin dierussische nicht an die Bahn. Sie rechtfertigte diese
Unterlassung mit ihrer dekolletierten Toilette. Der wirkliche Grund war,
daß Kaiserin Auguste Viktoria als gute Protestantin der russischen Kusine
ihren Konfessionswechsel nicht verziehen hatte und, davon abgesehen,
deren englische Allüren nicht liebte.
Am 20. November 1899 wurde die Kaiserreise nach England angetreten.
Die Mehrheit im Reichstag und noch mehr die große Mehrheit des deutschen
Volkes bedauerte und mißbilligte diese Reise. Die Kaiserin war bis zum
letzten Augenblick bestrebt, sie zu verhindern. Sie schrieb mir noch
vierzehn Tage vor dem Antritt der Reise: „Was wird nun werden? Ich
hatte von Ihrem gestrigen Hiersein gehofft, daß England nun ins Wasser
fiele. Wir können doch wirklich nicht hin. Ich habe Ihrem Wunsch gemäß
dem Kaiser bisher nichts gesagt — aber nächstens brennt einem der Boden
unter den Füßen. Ich fürchte, es wird dem Kaiser kolossal im Lande
schaden, wenn wir wirklich reisen. England will uns doch nur benutzen.
Natürlich ist es furchtbar schwer für den Kaiser, aber ich glaube, im Grunde
wäre er doch gern die Sache los. Ich bin gespannt auf Ihre Antwort.“ Die
Hofdamen Ihrer Majestät sprachen davon, wie traurig, ja schmählich es
wäre, daß wir England in dem Augenblick besuchten, wo der englische
„Mammonismus“ die frommen und tapferen Buren zu erwürgen trachte.
Der Kaiser war lange in unsicherer Stimmung. Ich erklärte ihm, daß ich die
Reise vor dem Reichstag verantworten und decken würde.
Wenige Tage vor meiner Abreise nach England erhielt ich einen Brief
unseres Botschafters in London, des Grafen Paul Hatzfeldt, vom 11. No-
vember, in dem es hieß: „Chamberlain ist und bleibt ein Faktor, mit dem
wir rechnen und den wir warmhalten müssen, und ich halte deshalb für
dringend wünschenswert, daß Eure Exzellenz ihm hier, wenn irgend mög-
lich, Gelegenheit zu einer vertraulichen Aussprache geben. Dabei ist aber
meines Erachtens zu berücksichtigen, daß jetzt schon in den Kreisen des
Foreign Office eine unverkennbare Gereiztheit über die demselben wohl-
bekannten Nebenverhandlungen besteht, obwohl Salisbury selbst mir dies
bis jetzt in keiner Weise gezeigt hat. Es würde sich daher empfehlen, eine
vertrauliche Besprechung zwischen Eurer Exzellenz und Chamberlain so ein-
zurichten, daß sie nicht zur Kenntnis Lord Salisburys gelangt.
In bezug auf den Besuch Seiner Majestät in England darf ich wohl Eure
Exzellenz nochmals ganz vertraulich darauf hinweisen, wie wünschenswert
es im Interesse der Sache ist, daß Seine Majestät wenigstens die Einladung
zum Herzog von Devonshire annimmt. Ich kann in dieser Hinsicht nicht
genug hervorheben, welche ungünstige Wirkung der beabsichtigte Besuch
des Kaisers bei Lord Lonsdale in allen beteiligten Kreisen und namentlich
Abreise
Wilhelms II.
nach England
Vertraulich
mit Chamber-
lain?