306 DYNASTIEN UND NATIONALGEFÜHL
und von Metz zu stehen. Der Kaiser meinte: „Das würde Louischen
scheußlich unangenehm sein.“ Ich frug den Kaiser weiter, was die Kaiserin
Alexandra Feodorowna von Rußland sagen würde, wenn ein deutscher
Offizier dieser Kusine des Deutschen Kaisers seine Genugtuung darüber
aussprechen würde, daß sie die Tochter eines im Krieg von 1870 hoch-
bewährten deutschen Fürsten und Heecrführers wäre, „Das würde Alix
greulich sein“, meinte der Kaiser. Ich erzählte ihm nun eine kleine Erinne-
rung aus meiner römischen Botschafterzeit. Als die Herzogin von Aosta,
eine geborene Prinzessin von Orleans, nach ihrer Vermählung mit einem
italienischen Prinzen in Rom das Diplomatische Korps empfangen sollte,
hätte ich neben dem französischen Botschafter Billot gestanden. Dieser
habe mir gesagt, er sähe der Vorstellung mit einiger Neugier entgegen, denn
abgesehen vom Sturz des Julithrons im Jahre 1848 sei der Bruder der
Herzogin von Aosta, der Herzog Philipp von Orleans, soeben aus Frank-
reich verbannt worden. Als nun der französische Botschafter der Tochter
einer aus Frankreich exilierten Dynastie vorgestellt wurde, ergriff die
Herzogin seine Hand mit den Worten: „Je suis bien heureuse de voir
l’ambassadeur de France, je suis Frangaise et fire d’etre Frangaise.‘“ Als
der Empfang zu Ende war, meinte der Botschafter nicht ohne Stolz, und
mit berechtigtem Stolz: „Nos femmes frangaises sont patriotes, qu’elles
soient servantes ou princesses.‘“ Ich frug den Kaiser, wie es käme, daß
unsere deutschen Prinzessinnen oft ganz anders wären als die französischen,
englischen, russischen und italienischen Prinzessinnen, als die Fürsten-
töchter aller anderen Länder. Er meinte, das hinge wohl mit dem schwä-
cheren Nationalgefühl des Deutschen zusammen. Dagegen habe ich den
leidenschaftlichen Herbert Bismarck gelegentlich sagen hören, der Mangel
an Patriotismus bei den ins Ausland geratenen deutschen Prinzessinnen
und Prinzen käme daher, daß das deutsche Volk mit seinem schwachen
Nationalgefühl es nie verstanden habe wie das französische bei verschie-
denen Anlässen, wie das englische gegenüber Karl I. und Jakob II., das
italienische während des Risorgimento, das spanische mit der Königin
Isabella und Don Carlos, das schwedische mit den Wasas, das russische in
Verschwörungen und Attentaten, eine seine Fürsten einschüchternde
Sprache zu führen. Tatsache ist leider, daß auch während des Weltkrieges
die Königin Elisabeth von Belgien, eine Wittelsbach, die Königin Marie
von Rumänien, eine Wettin aus dem Koburger Zweige, die Prinzessinnen
Viktoria, Elisabeth und Alix von Darmstadt, die Töchter des uralten
Hauses Brabant-Hessen, ihr deutsches Vaterland ostentativ verleugneten.
Die Königin Mary von England, eine Teck-Württemberg, die Herzogin
Helene von Albany, eine Waldeck, die Großfürstin Jelissaweta Mawri-
kiewna, eine Wettin aus dem Altenburger Zweig, trugen solche Gesinnung