DER BLAUE FRACK MIT GOLDKNÖPFEN 307
wenigstens nicht mit Lust zur Schau, die Großfürstin Maria Pawlowna,
eine Prinzeß von Mecklenburg, erst am Abend ihres Lebens. Es ist traurig,
feststellen zu müssen, daß im deutschen Volk, und nur im deutschen Volk,
Mangel an Nationalstolz und an Nationalgefühl sich oben, in uralten deut-
schen Fürstenhäusern, ebenso breitmachen darf wie unten, in den Niede-
rungen des Kommunismus.
Neben dem Herzog von Connaught stand am Landungskai ein Herr in
blauem Frack mit goldenen Knöpfen, der dem Kaiser sogleich unangenehm
auffiel. Denn in England fühlte sich Wilbelm II., wenigstens in allen
Äußerlichkeiten, ganz als Engländer, und der Engländer zieht bekanntlich
vormittags keinen Frack an. Der Herr im Chiffrefrack war der deutsche
Botschaftsrat Graf Karl Pückler, ein taktvoller, vorsichtiger Diplomat,
mit Erfahrung und mit guten Manieren, dazu ein ausgezeichneter Musiker,
was ihm in der Gesellschaft viele Herzen gewann. Aber er war sehr kurz-
sichtig, und das gab ihm etwas Ängstliches und Verlegenes. Ich riet ihm
freundschaftlich, sich einen Paletot anzuziehen, dann würde sein Vor-
mittagsfrack Seine Majestät nicht wieder entsetzen. Er hatte aber leider
seinen Überzieher unterwegs verloren und begegnete in dem Sonderzug, der
uns nach Windsor trug, noch zweimal dem Kaiser in seinem ominösen
Frack. In Windsor war großer Empfang an der Bahnstation, bei dem der
Prinz von Wales die Königin vertrat, worauf wir im Schlosse abstiegen.
Windsor ist mit dem Neuen Palais in Potsdam für mich das schönste
Schloß der Welt. Gewiß schlägt mein preußisches Herz höher in dem von
unserem großen König nach dem Siebenjährigen Krieg erbauten Schloß,
in dem Kaiser Friedrich seine edle Seele aushauchte. Windsor ruft aber noch
ältere und größere Erinnerungen wach als irgendein deutsches Schloß und
ist an Pracht der Einrichtung, Schönheit der in seinen Galerien aufgehäng-
ten Gemälde und Reiz der Umgebung unvergleichlich. Wilhelm II. ärgerte
die Herren seiner militärischen Umgebung jeden Morgen dadurch, daß er
auf den Turm von Windsor deutend ihnen zurief: „Von diesem Turm aus
wird die Welt regiert.“ Richtig war, daß sich in Windsor die gewaltigen
Erinnerungen der englischen Geschichte und die gewaltige Macht des eng-
lischen Weltreichs verkörpern. Nachdem er die ihm angewiesenen Apparte-
ments bezogen hatte, ließ mich der Kaiser zu sich bitten und sagte mir
mit glückseligem Ausdruck: „Dies ist der schönste Einzug und der er-
hebendste Eindruck meines Lebens. Hier, wo ich als Kind an der Hand
meiner Mutter bescheiden und scheu die Herrlichkeiten anstaunte, weile
ich heute als Kaiser und König.“
In diesem Augenblick wurde dem Kaiser ein Telegramm gebracht, das
die Meldung enthielt, die Arbeitswilligen-Vorlage wäre im Reichstag nicht
einmal an eine Kommission überwiesen, sondern in zweiter Lesung trotz
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