Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Erster Band. Vom Staatsseketariat bis zur Marokko-Krise. (1)

Gespräch 
Bülows mit 
Balfour 
318 SALISBURYS NEFFE 
machte Mr. Balfour im Gespräch den Eindruck eines vielseitig gebildeten 
Mannes. Es klang nicht unwahrscheinlich, wenn ihm ästhetische Neigungen 
nachgesagt wurden, Vorliebe für präraffaelitische Maler und Händelsche 
Oratorien, auch Neigung zu einer philosophischen Betrachtungsweise der 
Menschen und Dinge. Und doch wäre nichts irreführender, als nach irgend- 
einer Ähnlichkeit zwischen Arthur James Balfour und Theobald von 
Bethmann Hollweg zu suchen. Philosophische Spekulationen haben Balfour 
nie die Klarheit des politischen Blicks getrübt, ästhetische Liebhabereien 
nicht die Energie seines Willens gelähmt. Während uns Bethmann Hollweg 
in den Weltkrieg hineinstolpern ließ, als Vorsicht und Umsicht dies ver- 
hindern konnte, dann aber, als im entbrannten Kampf nur Kraft und Ener- 
gie uns zu retten vermochten, den Krieg politisch schwächlich führte, war 
Balfour im Frieden ein behutsamer, im Krieg ein entschlossener Minister 
seines Landes. Während Bethmann Polen wiederherstellte und damit einen 
der gröbsten Fehler der preußisch-deutschen Geschichte beging, meisterte 
Balfour als Staatssekretär für Irland die rebellische „grüne Insel“ mit 
eiserner Hand. Sein politisches Urteil war abgewogen, ruhig und verständig. 
Er schien ein Zusammengehen von England und Deutschland auf- 
richtig zu wünschen, obwohl er selbst mich darauf aufmerksam machte, 
daß ein solches bei der starken Konkurrenz, die wir der englischen Industrie 
und dem englischen Handel machten, schwieriger wäre als ein Zusammen- 
gehen Englands mit Frankreich, das kaum noch ein ernsthafter Rivale für 
England sei. Als ich dem Neffen und Vertrauten von Lord Salisbury sagte, 
unsere Wünsche gegenüber England wären mehr negativer als positiver 
Natur, wir hätten kein besonderes Anliegen an England, wie stellten keine 
speziellen Zumutungen an England, aber wir hätten den Wunsch, daß 
zwischen Deutschland und England weder Mißverständnisse noch Frik- 
tionen noch unnötige Herausforderungen stattfinden möchten, meinte 
Mr. Balfour, es gäbe keinen englischen Staatsmann, der diesem Programm 
nicht freudig beipflichten würde. In England bestünde gegenüber der deut- 
schen wirtschaftlichen Entfaltung kein so intensiver Neid, als viele Deutsche 
sich einbildeten. England sei zu stark, zu reich, habe auch gegenüber allen 
anderen Ländern seit langem wirtschaftlich einen zu bedeutenden Vor- 
sprung, als daß es die deutsche Konkurrenz ernstlich zu fürchten brauche. 
Das Afrika-Abkommen zwischen Deutschland und England sei ein sehr 
nützliches Arrangement, dessen Ausführung beiden Teilen zugute kommen 
würde. Auch in Kleinasien werde England deutschen Unternehmungen 
keine Schwierigkeiten in den Weg legen, insbesondere nicht hinsichtlich 
des Ausbaus der Anatolischen Bahn. Dagegen klagte Mr. Balfour sehr leb- 
haft über die Haltung der deutschen Presse, die viel antienglischer sei als 
die englische Presse antideutsch. Ich wies meinerseits darauf hin, daß der
	        
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