G. J. Goschen
320 DIE ANGLISIERTEN GOSCHENS
setzte er seine Rede mit vollkommener Ruhe fort.“ Der Marquess of Harting-
ton war ein großer Sportsmann und liebte die Fuchsjagden. In der Jagd-
saison erschien er einmal zu einer Frühsitzung des Unterhauses im roten
Jagdfrack und weißen Breeches, da er sich von der Sitzung direkt zum
Meet begeben wollte. Um die tadellose Reinheit seiner mit Kreide sorgsam
geweißten Breeches nicht zu gefährden, hatte er sich von seinem Kammer-
diener eine große weiße Schürze vorbinden lassen, und in diesem Anzug
nahm er seinen Platz auf der vordersten Bank seiner Partei ein. Man denke
sich Eugen Richter oder Herrn Friedrich Payer in diesem Anzug an der
Spitze der liberalen Partei des Deutschen Reichstags, um den ganzen Unter-
schied zwischen englischer und deutscher Mentalität und deutschem und
englischem Parlamentarismus zu ermessen.
Im Gegensatz zu diesem echten englischen Aristokraten erinnerte mich
Mr. Goschen in seiner klugen Betriebsamkeit mehr an einen höheren
deutschen Beamten. Er führte dieselben Vornamen — Georg Joachim —
wie sein Großvater, der Leipziger Buchhändler und Verleger von Goethe
und Wieland, hatte aber den zu deutsch klingenden Zunamen Göschen
in Goschen umgewandelt und gab sich als Vollblut-Engländer. Man rühmte
ihm nach, daß er als Erster Lord der Admiralität mehr für die englische
Flotte getan habe als irgendeiner seiner Vorgänger. Nach der wenig glück-
lichen Krüger-Depesche von 1895 hatte Goschen im englischen Unterhause
Kaiser Wilhelm II. scharf und sehr von oben herunter die Leviten gelesen.
Zu den großen politischen Eigenschaften der Engländer gehört auch die
Gabe, Fremde und Fremdes aufzusaugen. Die Teck (Cambridge) und Hohen-
lohe (Gleichen), die Bentincks und Barings, die Goschens und Bunsens
wurden schon in der zweiten Generation ganz zu Engländern. Auch die
Franzosen besitzen die Fähigkeit, Ausländer zu assimilieren. Der Marechal
de Saxe und der Maröchal Rantzau, Kellermann und Luckner, Ney,
Kleber und Rapp glänzen in der französischen Kriegsgeschichte. Zu den
vertrautesten Mitarbeitern und Freunden von Gambetta gehörten der
Badener Spuller und die in Frankfurt a. M. geborenen Brüder Joseph und
Salomon Reinach. Der Kabinettschef Clemenceaus im Weltkrieg war der
gleichfalls aus Deutschland stammende Mandel, der ursprünglich Roth-
schild hieß. Goethe sagt irgendwo, die Kraft einer Sprache zeige sich nicht
im Abstoßen, sondern im Verschlingen. Das gilt auch von Nationen. Der
jüngere Bruder des Marineministers Goschen, der übrigens für seine Ver-
dienste um die englische Flotte zum Viscount erhoben wurde, der Rt. Hon.
Sir Edward Goschen, war vor dem Weltkrieg englischer Botschafter in
Berlin. Im Gespräch mit ihm sollte fünfzehn Jahre später, von allen guten
Geistern verlassen, Bethmann Hollweg das Wort vom Fetzen Papier
prägen, das, wie vierundvierzig Jahre früher die Wendung Olliviers vom