Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Erster Band. Vom Staatsseketariat bis zur Marokko-Krise. (1)

IM KLEINEN SALON DER QUEEN 321 
„eur leger“ in seiner Wirkung einer verlorenen Schlacht glich. Zur Be- 
lohnung für die Schnelligkeit, mit der er diese gräßliche Entgleisung des 
deutschen Kanzlers in einem nüchtern und ruhig gehaltenen Bericht zu 
Papier brachte und damit für alle Zukunft fixierte, wie ein Naturforscher 
einen von ihm aufgespießten seltenen Schmetterling sorgsam für das 
Museum konserviert, wurde Sir Edward Goschen kurz nachher zur Würde 
eines Peers von England erhoben. Als der Weltkrieg ausbrach, war England 
an zwei der wichtigsten Posten, in Wien und Berlin, durch Botschafter 
deutscher Abkunft vertreten. In Wien durch Bunsen, den Enkel eines 
preußischen Gesandten am englischen Hofe, in Berlin durch Goschen, 
dessen Großvater die erste Gesamtausgabe von Goethes, Wielands, Klop- 
stocks Werken und den Jugenddichtungen Schillers verlegt hat. 
Am Tage nach meiner Ankunft in Windsor wurde ich von der Königin 
Victoria in „the Queen’s private closet‘‘, d. h. im kleinen Salon der Königin, 
empfangen. Sie ließ mich neben sich Platz nehmen und frug. mich in der 
freundlichsten Weise nach dem Befinden meiner Frau, die ihr während des 
Besuchs, den die Königin Victoria im Frühjahr 1888 ihrem sterbenden 
Schwiegersohn, dem Kaiser Friedrich, in Charlottenburg abgestattet hatte, 
von der Kaiserin Friedrich vorgestellt worden war. Echt englisch meinte die 
Königin, ihre älteste Tochter pflege zu sagen: „Marie Bülow is my best 
friend — on the continent.‘“ Der Maler Angeli hatte, als er das Bild der 
Königin zu malen hatte, dem Oberhofmeister der Kaiserin Friedrich, 
dem Grafen Götz von Seckendorff, mit Wiener Drolligkeit und mit der 
Unbefangenheit eines Künstlers gesagt, Ihre Majestät von Großbritannien 
und Irland schauen aus ‚‚wie ein Schwammerl“. Für Nichtösterreicher 
füge ich hinzu, daß „Schwammerl“ soviel bedeutet wie Champignon. Aber 
trotz ihrer kleinen Figur hatte Königin Victoria in Erscheinung und Wesen 
etwas wahrhaft Königliches. Ich habe selten so viel Natürlichkeit, Einfach- 
heit und Würde in einer Persönlichkeit vereinigt gesehen wie in ihr. Sie 
saß damals schon zweiundsechzig Jahre aufdem Thron, den sie mit achtzehn 
Jahren bestiegen hatte. Sie erzählt mir, daß bei ihrer Thronbesteigung mein 
Großonkel Heinrich Bülow preußischer Gesandter in England gewesen sei, 
a most excellent man, dem sie sehr zugetan gewesen wäre. Sie frug nach 
dessen Witwe, meiner verstorbenen Großtante Gabriele von Bülow, der 
Tochter von Wilhelm von Humboldt. In gütiger Weise fügte sie hinzu, daß 
der von ihr so hoch geschätzte Lord Beaconsfield in einem während des 
Berliner Kongresses an die Königin gerichteten Brief sowohl meine Eltern 
als auch mich und einen Bruder von mir in freundlicher Weise erwähnt 
habe. Sie werde Weisung geben, daß mir Abschrift dieses Briefes zugestellt 
würde. Der während des Berliner Kongresses am 4. Juli 1878 von dem Earl 
of Beaconsfield an Her Most Gracious Majesty gerichtete Brief lautete wie 
21 Bülow ] 
Bülow 
in Audienz 
bei der 
Königin
	        
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