Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Erster Band. Vom Staatsseketariat bis zur Marokko-Krise. (1)

322 EINE REGENTIN 
folgt: „I dined with the Minister of State, Bülow, a small party, about 
sixteen, An accomplished and apparently most amiable family. Bülow 
himself attractive from his experience, highly courteous tho’ natural 
manners; his wife, lively and well informed, and two or three sons at table, 
who I really think were the bestlooking, the best-dressed and the best- 
mannered young gentlemen I ever met. They were all in the army, but she 
has seven sons, equally engaging it is said*.‘“ Mein von Disraeli erwähnter 
Bruder war der infolge eines Sturzes mit dem Pferde 1897 verstorbene 
General Adolf Bülow. 
Die Königin kam dann auf Politik zu sprechen. Ohne auf Einzelheiten 
einzugehen, sagte sie mir mit offenbar vollkommener Aufrichtigkeit, sie sei 
stets in Übereinstimmung mit ihrem unvergeßlichen Gemabl für Freund- 
schaft und „good-understanding“ zwischen Deutschland und England ge- 
wesen. Mißverständnisse zwischen beiden wären sehr traurig, wirkliche 
Feindschaft.ja gar nicht denkbar, denn beide seien gute, zivilisierte, 
christliche, protestantische Völker. Die Königin schien präokkupiert durch 
die überaus gehässige Sprache der deutschen Presse gegenüber England 
anläßlich des Burenkrieges. Sie meinte, es sei nicht gut, den Engländer zu 
sehr durch Presscangriffe zu reizen. Der Engländer sei langsam und indo- 
lent, wenn er aber, namentlich von der Presse seines deutschen Vetters, zu 
sehr und, wie er glaube, zu ungerecht getadelt würde, könnte er schließlich 
die Geduld verlieren. Die Königin drückte mir ihr lebhaftes Bedauern dar- 
über aus, daß ich Lord Salisbury nicht sehen könnte, der ein hervorragender 
Staatsmann wäre. Chamberlain nannte sie nicht. 
Als Königin Victoria mich empfing, blickte sie nicht nur auf eine unge- 
wöhnlich lange, sondern auch auf eine ungewöhnlich glänzende und erfolg- 
reiche Regierung zurück, eine der erfolgreichsten Regierungen der Welt- 
geschichte. Wer ihre Korrespondenz und die von ihr angeregte Lebens- 
beschreibung ihres Gemahls, des Prinzen Albert, liest, muß mit Bewunde- 
rung auf so viel Pflichttreue und auf so ausgesprochenen Takt blicken. Sie 
hatte einen starken Willen und bei aller äußeren Bescheidenheit ein be- 
rechtigtes, aber ungemein hohes Selbstgefühl, ohne daß sie je versucht hätte, 
sich über die Schranken der englischen Verfassung und der englischen 
Tradition hinwegzusetzen. Sie hatte eine große Vorliebe für Disraeli und 
eine starke Abneigung gegen Gladstone. Aber wenn die parlamentarische 
Lage es erforderte, entließ sie Disraeli und ernannte Gladstone zum leiten- 
den Minister. In ihrem Hause war sie umgeben von der zärtlichsten Liebe, 
von der Ehrerbietung und dem blinden Gehorsam ihrer ganzen Familie. 
* Der mir von der Königin übersandte Brief ist abgedruckt in „The life of Benjamin 
Disraeli, Enrl of Beaconsfield‘‘, by George Buckle (London, John Murray, Albemarle Street 
W. 1920. Volume VI. 1876—1881, 5.331).
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.