Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Erster Band. Vom Staatsseketariat bis zur Marokko-Krise. (1)

XXI KAPITEL 
Charakteristik Chamberlains - Überblick über die englischen Bündnisverhandlungen 
und Gesamteindruck - Briefe an Hohenlohe und Holstein, Bericht Hatzfeldts an den 
Reichskanzler .- Besuch in Sandringham » Der Prinz von Woles, sein Verhältnis zu 
seinem Neffen Kaiser Wilhelm II. - Lord Acton - Abreise von England - Kaiserin 
Friedrich über die Kaiserreise nach England - Begegnung mit den holländischen 
Königinnen in Vlissingen 
\ N Tenn wir uns England gegenüber nicht weiter engagieren durften, als 
sich England uns gegenüber band, so war Mr. Chamberlain gegenüber 
besondere Vorsicht geboten. Es gab kaum einen englischen Staatsmann, 
der sich in seiner politischen Laufbahn so oft gewandelt, der seinen Stand- 
punkt so häufig und so plötzlich geändert hatte, bei dem man so sehr auf 
Überraschungen, auf ein unvermutetes Abspringen gefaßt sein mußte als 
bei Joseph Chamberlain. Aus einem radikalen Demokraten wurde er ein 
konservativer Tory, aus einem Republikaner loyaler Monarchist, aus einem 
Pazifisten ein Imperialist, aus einem begeisterten Freihändler und Anhänger 
von Bright und Cobden ein leidenschaftlicher Schutzzöllner. Vor Gladstone 
war er für Homerule in Irland eingetreten, trennte sich aber von dem grand 
old man, als dieser eine Homerule-Vorlage einbrachte, und sprengte damit 
die Liberalen, wie er später durch seine Wendung zum Schutzzoll die kon- 
servative Partei spalten sollte. Er hatte für die Unabhängigkeit der Buren 
geschwärmt und im Parlament wie in zahlreichen Meetings für sie gespro- 
chen, um dann mehr als irgendein anderer englischer Politiker zum Krieg 
mit den südafrikanischen Republiken zu treiben. Es gab kaum eine poli- 
tische Frage, in der er nicht wie jener Sigambrerkönig verbrannt hätte, was 
er früher anbetete, und angebetet, was er früher verbrannte. Und jede 
dieser Wendungen verteidigte er unter dem Beifall der Mehrheit seiner 
Landsleute mit dem Argument, daß nicht er, sondern die Verhältnisse sich 
geändert hätten. 
Gegen die Chamberlainschen Lockungen sprach noch ein schwerwiegen- 
der Gesichtspunkt. Die zweifellos friedliche und im Rahmen der englischen 
Interessen ausgesprochen deutschfreundliche Königin Victoria stand 1899 
schon im achtzigsten Lebensjahr, nach menschlichem Ermessen war ihr 
nur noch eine kurze Regierungszeit gegeben. Ihr Nachfolger, der schon bei 
Die Politik 
Chamberlains
	        
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