Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Erster Band. Vom Staatsseketariat bis zur Marokko-Krise. (1)

336 DER BESUCH WILHELMS II. PRIVAT 
gegenwärtige Vertrauen zu festigen, Mißverständnisse zu beseitigen und 
Reibungen zu vermeiden. Nach den vielen Äußerungen der Befriedigung, 
der Freude, ja des Entzückens, die mir berichtet worden sind, schließe ich 
in diese zuversichtliche Erwartung alle Mitglieder der Königsfamilie aus- 
nahmslos ein, vor allem auch neben dem Thronerben Höchstdessen Sohn, 
den Herzog von York. Nicht minder nachhaltig war die Wirkung des per- 
sönlichen Verkehrs mit unserem erhabenen Monarchen auf die Minister 
Ihrer Majestät der Königin. Arthur Balfour äußerte, daß er nie eine an- 
regendere Stunde durchlebt habe als diejenige, in welcherer sich der Ehre 
einer langen Unterhaltung mit Seiner Majestät dem Kaiser erfreuen durfte 
und unter dem Zauber seiner Persönlichkeit stand. Die uns ganz besonders 
freundschaftlich gesinnten Elemente am Hofe Ihrer Majestät der Königin 
und ebenso die einflußreichsten Mitglieder des Foreign Office haben es 
schmerzlich bedauert, daß Lord Salisbury durch seine tiefe Trauer verhin- 
dert war, mit der Allerhöchsten Person in unmittelbare Berührung zu 
treten. Man glaubt dort zu wissen, daß Chamberlain und Arthur Balfour 
bei uns als die eigentlichen Träger einer deutschfreundlichen Politik ange- 
sehen werden, während man Lord Salisbury in dieser Beziehung, wenn 
nicht eine negative, so doch mindestens eine passive Rolle zuerkenne. Die 
persönliche Aussprache, so versichern jene Kreise, würde auf beiden Seiten 
die etwa bestehende Voreingenommenbeit zerstreut, Vertrauen gesät und 
spätere Verhandlungen wohltätig beeinflußt haben. Der öffentlichen Mei- 
nung und der Presse kann ich das Zeugnis nicht versagen, daß sie mit Takt 
den privaten Charakter des Allerhöchsten Besuchs respektiert haben. Wäre 
Seine Majestät in London erschienen, hätte er der spontansten und 
begeistertsten Huldigungen sicher sein dürfen. In der Zurückhaltung, die 
sich Presse und Publikum auferlegen mußten, haben sie sich doch im allge- 
meinen davor zu hüten gewußt, zu kühl zu erscheinen. Diese Aufgabe war 
insofern nicht ganz leicht, als jede Überschwenglichkeit im Ausdruck auf 
deutscher Seite hätte den Vorwurf hervorrufen können, als wolle man den 
Kaiser politisch an England ketten, während eine kalte Aufnahme eben- 
sowenig der wirklichen Stimmung wie den Regeln der Höflichkeit ent- 
sprochen haben würde und auch in Deutschland Mißfallen hätte erregen 
müssen. Die Grundstimmung im Volke wie in den Zeitungen war herzlicher 
Dank für eine der erhabenen Herrscherin und damit indirekt dem ganzen 
Volke erwiesene zarte Aufmerksamkeit. Wäre diese letztere unterblieben, 
wie ein Teil der öffentlichen Meinung Deutschlands es zu wünschen schien, 
würden die Äußerungen des Unwillens und der Mißbilligung englischer 
Politik von seiten deutscher Pressorgane hier eine unvermeidliche Rück- 
wirkung gehabt haben, die auch der Regierung die Hände gebunden und 
spätere Verhandlungen nachteilig beeinflußt haben würde, ein Ergebnis,
	        
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