Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Erster Band. Vom Staatsseketariat bis zur Marokko-Krise. (1)

Nordlandreise 
1899 
Wilhelm II. 
gegen die 
Sozial- 
demokratie 
348 PHILIPP EULENBURG BERICHTET 
Wenn er nicht allein auf dem Postament stehen konnte, so wollte er wenig- 
stens wie auf dem schönen Goethe-Schiller-Denkmal in Weimar auf den 
Lorbcerkranz des anderen mit die Hand legen. Am Geburtstag des Zaren, 
am 18. Mai 1899, brachte Wilhelm II. in Wiesbaden in Gegenwart des 
russischen Botschafters Osten-Sacken einen Toast aus, in dem er seinen 
Vertreter auf der Haager Konferenz, den Grafen Münster, neben den Baron 
von Staal stellte und die Erwartung aussprach, daß diese beiden Diplo- 
maten „gemäß den vom Kaiser Nikolaus und Mir an beide Herren er- 
gangenen übereinstimmenden Befehlen‘ die Konferenz so führen würden, 
daß der Erfolg den Zaren befriedigen könne. Wie so manche für die Öffent- 
lichkeit bestimmte Auslassung des im Grunde gutmütigen und jedenfalls 
friedliebenden Kaisers wurde dieser Toast im Ausland vordringlich und an- 
maßend gefunden und mißfiel allgemein. 
Meine bisherige Amtszeit als Staatssekretär hatte mir gezeigt, daß ich, 
durch die Verhältnisse oft wochenlang vom Kaiser getrennt, ohne direkte 
Fühlungnahme mit ihm, ohne Kenntnis dessen war, was seinen lebhaften 
und vielseitigen Geist bewegte. Dies war besonders während der Nordland- 
reisen der Fall. Wohl war der Kaiser auf allen seinen Reisen von einem Ver- 
treter des Auswärtigen Amts begleitet. Ich hatte aber mehr als einmal 
konstatieren müssen, daß diese Herren, mochten sie nun Tschirschky oder 
Schön heißen, bei der Redaktion ihrer Berichte mehr darauf bedacht waren, 
sich persönlich ä tout jamais gegenüber dem Kaiser zu sichern, als mich 
wahrheitsgetreu zu informieren. Ich sagte mir, daß diese Lücke in irgend- 
einer Weise ausgefüllt werden müsse. Ich mußte mich über die Stimmungen 
Wilhelms II., über die Einflüsse, die sich an ihn gerade während längerer 
Trennungen von seinen verantwortlichen Beratern herandrängten, auf 
dem laufenden halten. Ich handelte daher in pflichtgemäßer Obsorge, 
wenn ich Philipp Eulenburg, der den Kaiser begleitete, ersuchte, mich über 
die Allerhöchsten Absichten und Stimmungen, soweit sie politisch erheblich 
und insbesondere bedenklich erschienen, rechtzeitig zu informieren. 
Philipp Eulenburg war ein ausgezeichneter Beobachter und schrieb eine 
treffliche Feder. Ich gebe einige seiner Briefe aus dieser Periode wörtlich 
wieder, da sie mehr als irgend andere Ausführungen ein klares Bild der 
Pläne, Stimmungen und Ideen geben, die kaleidoskopartig das sensible 
Gehirn des Kaisers durchkreuzten und deren oft blıtzschnelle Umsetzung 
in eine öffentliche Geste oder Tat mich mehr als einmal in schwierige Lagen 
versetzt hat. 
Während der Nordlandreise von 1899 traten bei dem Kaiser fortdauernd 
unklare, aber hitzige Staatsstreichpläne hervor. „Als der Telegraph“, 
schrieb mir Philipp Eulenburg, „Arbeiterunruhen aus Augsburg und anderen 
Orten meldete, die Anlaß zu einem geistigen Spaziergang auf sozialer Basis
	        
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