350 EINE SEHR LAUTE FRÜHSTÜCKSREDE
Gespräch zu verwickeln und abzulenken. Aber der dicke Konsul Jenssen
(Gott sei Dank eine brave, ehrliche Haut!) bekam den ganzen Anprall der
kaiserlichen Rede, die diesmal so laut geführt wurde, daß mindestens sechs
Herren sie hören mußten.“ Prinz Albert von Holstein war der Sohn des
Prinzen Christian von Augustenburg, des Oheims der deutschen Kaiserin
Auguste Viktoria, aus seiner 1866 geschlossenen Ehe mit der Prinzessin
Helene von England, der dritten Tochter der Königin Victoria. Sein älterer
Bruder war für den englischen Dienst bestimmt worden und fiel, wenn ich
mich nicht irre, als englischer Offizier während des Burenkrieges. Der
jüngere Sohn, Prinz Albert, wurde nach Darmstadt geschickt, wo er bei den
hessischen Dragonern eintrat. Er sprach Deutsch mit einem ausgesprochen
englischen Akzent, Wesen und Manieren waren bei ihm ganz englisch, und
die Umgebung des Kaisers glaubte, daß er alles, was er hörte, nach England
berichte. Während des Weltkrieges blieb er aber in Deutschland, nachdem
der Kaiser ihn dem Gouverneur von Berlin für besondere Aufträge atta-
chiert hatte, und klagte in seinem etwas komischen Englisch-Deutsch über
die fatale Lage, in die er durch den Krieg zwischen seinen „beiden Vater-
ländern““ gekommen sei. Der Kaiser hatte ihn übrigens von vornherein
vom Frontdienst dispensiert. Herr Jenssen war deutscher Wahlkonsul in
Christiania.
So sprach Wilhelm II. 1899 über die sozialdemokratische Partei und
Bewegung. Ich habe bis zu meinem Rücktritt, also während der folgenden
zehn Jahre, direkt und indirekt manche ähnliche Ausbrüche erlebt. Ich
habe dem Kaiser immer erwidert, daß, wenn er gegen die sozialdemokrati-
sche Bewegung mit Ausnahmegesetzen und Gewaltmaßregeln vorgehen
wolle, er den Fürsten Bismarck nicht hätte fortschicken sollen. Dieser, der
Schöpfer der deutschen Reichsverfassung, der Geber des allgemeinen und
gleichen Reichstagswahlrechts, der Baumeister des Reichs, wäre der
einzige gewesen, der eine solche Gewaltkur mit einer gewissen Aussicht
auf Erfolg hätte durchführen können. Nachdem Fürst Bismarck seinen
Platz hätte räumen müssen, bliebe nichts anderes übrig, als die sozial-
demokratische Bewegung ohne Bruch der Reichsverfassung, ohne Gewalt-
maßnahmen und, wenn irgend möglich, auch ohne Ausnahmegesetze zu
überwinden. Dies sei, wie ich glaube, geistigen Bewegungen gegenüber
überhaupt der beste Weg. Festigkeit und Mut gegenüber jedem Versuch
der Sozialdemokratie, Verfassung und Gesetze zu verletzen, sei selbst-
verständlich die erste Pflicht der Regierung. In dieser Beziehung könne er
sich absolut auf mich verlassen. Im übrigen aber ruhiges, verständiges und
möglichst geschicktes Regieren:: In hoc signo vincemus. Solche nach Pulver
und Blei riechenden Äußerungen des Kaisers waren übrigens nicht immer
ernst gemeint. Sie sollten mehr dem Zuhörer imponieren, vielleicht auch,