„WIE EIN ELEMENT“ 351
wenn weitergetragen, abschreckend wirken. Ein fester, und namentlich ein
konsequenter Wille stand nicht dahinter. König Albert von Sachsen, mit
dem ich schon als Staassekretär über diesen Punkt sprach und der für die
Gefabr der sozialdemokratischen Bewegung, die er gerade in Sachsen aus
nächster Nähe beobachten konnte, volles Verständnis besaß, sagte mir:
„Lassen Sie sich auf keine Experimente in dieser Richtung ein, ohne daß
Ihnen der Kaiser schriftlich verspricht, daß er bei der Stange bleiben wird.
Sonst springt er ab. Und selbst dann sind Sie seiner noch nicht ganz sicher.‘*
Acht Jahre nach jenen Konversationen auf der „Hohenzollern“ hatte ich
die sozialdemokratische Reichstagspartei von über 80 auf 43 Reichstags-
sitze zurückgedrängt, ihr den Wind aus den Segeln genommen und den
bürgerlichen Parteien eine feste Mehrheit gesichert. Ein derartiger, für das
Wohl des Staatsganzen wie für die Stellung der Monarchie immerhin nicht
unbeträchtlicher Erfolg kam aber bei Seiner Majestät nicht auf gegenüber
der persönlichen Ranküne, die seit dem November 1908, von Neidern und
Strebern genährt, in ihm gegen mich lebte. Ich mußte gehen. Unter meinem
Nachfolger brachte es denn auch die Sozialdemokratie bei den Wahlen von
1912 auf 111 Mandate.
Über andere Gespräche und Vorgänge auf der Nordlandreise meldete
mir Philipp Eulenburg, der ein in Frankreich häufiges, in Deutschland
selteneres Talent besaß, anregende und unterhaltende Briefe zu schreiben:
„Jeden Tag bin ich der Meinung, daß nun Ruhe sei. Aber das Leben eines
Kaisers von der Art unseres lieben Herrn wirkt wie ein Element. Es ist eine
Wolke, die bald weiß, bald grau, bald schwarz ist und Regen, Hagel,
Sturm — und besonders viel Elektrizität enthält... Heute gab uns der
Kaiser eine sehr interessante Schilderung von Cecil Rhodes. Des Deutschen
Kaisers Aufgabe, habe ihm Cecil Rhodes gesagt, sei die Gewinnung und
Erschließung von Mesopotamien. Der Kaiser müsse die Bahn durch Klein-
asien nach dem Euphrat bauen und den Landweg nach Indien. Er, Rhodes,
sei beim Studium der Geschichte zu diesem Resultat gekommen. Der Kaiser
wäre ja auch nicht nach Jerusalem wegen der paar heiligen Orte gegangen.
Er habe andere Ziele gehabt. ‚Ich gestehe‘, rief der Kaiser aus, ‚ich war
perplex. Ich sagte ihm, auch meine Gedanken gingen diesen Weg. Lieber
Rhodes, Sie haben es erraten! Ich baue diese Bahn und werde die uralten
Kulturländer wieder der Welt erschließen !‘ Der Kaiser fuhr fort: ‚Rhodes
sagte mir, er habe niemals Angst gehabt in seinem Leben, aber sein Herz
habe geklopft, als er zu mir eintreten sollte. Dann aber sei ihm wohl ge-
worden, als er mich voller Verständnis für seine Pläne fand. Rhodes hat
seit seiner Unterredung mit mir so schr nach Deutschland herüberge-
schwenkt, daß er während des Samoastreites zu Salisbury ging und diesem
derart grob wurde, daß dieser heute noch daran denkt.‘ Ich muß gestehen,
Wilhelm II.
über Rhodes