KARDINAL HOHENLOHE: DER KAISER MÜSSE SEHR VORSICHTIG SEIN 353
angesichts des scheußlichen Kampfes, den ich, in vorderster Reihe stehend,
gegen Schmutz und Verleumdung kämpfen mußte, traurig, so urteilen zu
müssen. Welche Erfahrungen haben diese Nüchternheit zuwege gebracht!
...Alsich dem Kaiser nicht verhehlte, daß der Bismarckismus eine Kraft
sei, deren Wurzeln immer noch sehr tief und fest in den deutschen Herzen
säßen, hörte er dies nicht gern. Er sprach die Ansicht aus, daß der Kaiser
fester darin säße als alles andere.“‘ In der Entrüstung über das hinterlassene
Werk des Fürsten Bismarck begegnete sich der Kaiser mit seiner Mutter,
die in vielen Fragen so anders dachte als ihr Sohn. Sie schrieb über die
„Gedanken und Erinnerungen“ an meine Frau: „Isuppose, dearest Marie,
you have read the vile book of Prince Bismarck, the one by Busch and the
other by himself, truly disgusting. He has already so succeeded in poison-
ning the minds of half his countrymen that they will no doubt accept all his
lies these books contain — and which emanate from him as sacred truths!
One is truly ashamed of such vulgarity and low taste.“ Nicht ohne innere
Befriedigung berichtete mir Philipp Eulenburg, daß der Kaiser auf das
bestimmteste erklärt habe, „niemals“ und „unter keinen Umständen“
Herbert Bismarck wieder anstellen zu wollen. Seitdem Eulenburg persönlich
von Herbert Bismarck bei der Leichenfeier in Friedrichsruh brüskiert
wurde, war ihm der Sohn Bismarck fast ebenso verhaßt wie der Vater.
Auch wußte er, daß ich Herbert Bismarck gern als Botschafter in London,
Petersburg oder Wien gesehen hätte.
Wiederholt schrieb mir Eulenburg, daß er dem Kaiser beständig Vor-
sicht predige, auch unter Hinweis darauf, daß der Kardinal Hohenlohe ihm,
Eulenburg, vertraulich geschrieben habe, der Kaiser müsse sehr auf seiner
Hut sein, sehr vorsichtig, sehr weise. Der Kardinal habe ihm geschrieben,
er wisse „positiv“, daß der Gedanke, den Kaiser für unzurechnungsfähig
zu erklären, in vielen Köpfen erwogen würde und viele, auch hohe Persön-
lichkeiten, gern ihre Hand dazu leihen würden, das Verfahren einzuleiten.
Eulenburg rühmte sich, eine „ernste und eingehende Unterredung‘“ mit
Wilhelm II. über diese heikle Materie mit den Worten geschlossen zu
haben: Es sei keine Gefahr für den Kaiser, wenn ich an des Kaisers Seite
stünde und er selbst vorsichtig bliebe. Gegen seine Gewohnheit habe der
Kaiser dieses Gespräch nicht mit einem Scherz oder „‚mit einem energischen
mündlichen Haudegenhieb ä la 1. Garderegiment“ beendigt, sondern er sei
„nachdenklich“ geblieben.
Daß mich solche Briefe sehr ernst stimmen mußten, liegt auf der Hand,
obschon es in der menschlichen Natur liegt, sich allmählich an alles zu ge-
wöhnen, wie an Kälte und Hitze, an Hunger und Durst, so auch an eigen-
artige Charaktere. Wenn der Mensch auch nicht immer aus Gemeinem ge-
macht ist, so emanzipiert er sich doch selten und nie ganz von seiner Amme,
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Eulenburg
über den
Kaiser