Eine Debatte
im Reichstag
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der Gewohnheit. Ich darf aber hinzufügen, daß keine Gewöhnung mich je
abgestumpft hat gegen die Gefahren, die in der Natur des Kaisers für das
Land lagen, und daß ich schon während meiner bisherigen Amtszeit keinen
Tag aufgehört hatte, es als meine erste Pflicht und vornelımste Aufgabe zu
betrachten, dafür zu sorgen, daß auch mit diesem Monarchen das Deutsche
Reich und das deutsche Volk vor Schaden bewahrt blieben. Zu immer neuen
Bedenken gab insbesondere die Unbesonnenheit Anlaß, mit welcher der
Kaiser politische Gespräche führte. Er hatte mir oft, sehr oft versprochen,
daß er nicht wieder in den Fehler verfallen wolle, mit A. über B. und mit B.
über A. zu räsonieren, auf die Gefahr, und selbst auf die Wahrscheinlichkeit
bin, daß A. und B. sich die kaiserlichen Boutaden gegenseitig anvertrauen
und beide mißtrauisch gegen den Kaiser werden würden. Er wollesich, hatte
er mir mehr als einmal erklärt, überhaupt klarmachen, daß unvorsichtige
Äußerungen eines Monarchen dem Bumerang glichen, jener australischen
Waffe, die auf denjenigen zurückprallt, der sie abschleuderte. Wilhelm II.
vergaß sich immer wieder, namentlich in Gesprächen mit den fremden Bot-
schaftern, nicht aus Böswilligkeit, ein Dolus lag nie vor; aber, wie der
Franzose treffend sagt, c’etait plus fort que lui. Wenn ich von Diplomaten
auf solche unvorsichtigen Auslassungen Seiner Majestät angesprochen
wurde, pflegte ich wahrheitsgemäß zu erwidern, daß scharfe Bemerkungen
des Kaisers über den einen oder andern Staat oder Regenten nur dann von
praktischer Bedeutung sein würden, wenn der Kaiser ein Mann ä& la
Napoleon I. wäre, der unter Umständen einen Angriffskrieg mache.
Dann allerdings wäre für diejenigen, gegen die sich seine Worte richteten,
bei solchen Äußerungen die Vorbereitung zur Abwehr begreiflich. Der
Kaiser sei aber in Wirklichkeit nur auf Erhaltung und Verteidigung be-
dacht. Seine ethischen Grundsätze, sein aufrichtiges Christentum, sein im
Grunde verständiges Wesen verböten ihm jeden Gedanken an einen An-
griffskrieg. Er werde niemals einen solchen machen. Seine gereizten Aus-
lassungen gegen diesen oder jenen Staat trügen immer nur einen Defensiv-
charakter und reagierten lediglich auf das, was an den Kaiser über feind-
liche Absichten dieses oder jenes Staates oder Regenten in wirtschaftlicher,
politischer oder verwandtschaftlicher Hinsicht herangebracht worden wäre.
Die Gesinnung änderte sich wieder, wenn der Kaiser nach einiger Zeit sähe,
daß jene von ihm supponierten feindlichen Absichten nicht mehr vorhanden
oder wenigstens ihrer Verwirklichung nicht nähergebracht worden wären.
Die bei aller ihrer Beweglichkeit in ihren Grundzügen unabänderliche
Natur des Kaisers machte mir beim Rückblick auf das Jahr 1899 wie auf
das ganze hinter uns liegende Jahrzehnt schwere Sorgen und bedeutete
eine ernste Aufforderung für mich, „toujours en ve&dette‘ zu bleiben, wie
der große König dies für Preußen gefordert hatte. Aber nicht nur die