Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Erster Band. Vom Staatsseketariat bis zur Marokko-Krise. (1)

Eine Debatte 
im Reichstag 
354 BUMERANGS 
der Gewohnheit. Ich darf aber hinzufügen, daß keine Gewöhnung mich je 
abgestumpft hat gegen die Gefahren, die in der Natur des Kaisers für das 
Land lagen, und daß ich schon während meiner bisherigen Amtszeit keinen 
Tag aufgehört hatte, es als meine erste Pflicht und vornelımste Aufgabe zu 
betrachten, dafür zu sorgen, daß auch mit diesem Monarchen das Deutsche 
Reich und das deutsche Volk vor Schaden bewahrt blieben. Zu immer neuen 
Bedenken gab insbesondere die Unbesonnenheit Anlaß, mit welcher der 
Kaiser politische Gespräche führte. Er hatte mir oft, sehr oft versprochen, 
daß er nicht wieder in den Fehler verfallen wolle, mit A. über B. und mit B. 
über A. zu räsonieren, auf die Gefahr, und selbst auf die Wahrscheinlichkeit 
bin, daß A. und B. sich die kaiserlichen Boutaden gegenseitig anvertrauen 
und beide mißtrauisch gegen den Kaiser werden würden. Er wollesich, hatte 
er mir mehr als einmal erklärt, überhaupt klarmachen, daß unvorsichtige 
Äußerungen eines Monarchen dem Bumerang glichen, jener australischen 
Waffe, die auf denjenigen zurückprallt, der sie abschleuderte. Wilhelm II. 
vergaß sich immer wieder, namentlich in Gesprächen mit den fremden Bot- 
schaftern, nicht aus Böswilligkeit, ein Dolus lag nie vor; aber, wie der 
Franzose treffend sagt, c’etait plus fort que lui. Wenn ich von Diplomaten 
auf solche unvorsichtigen Auslassungen Seiner Majestät angesprochen 
wurde, pflegte ich wahrheitsgemäß zu erwidern, daß scharfe Bemerkungen 
des Kaisers über den einen oder andern Staat oder Regenten nur dann von 
praktischer Bedeutung sein würden, wenn der Kaiser ein Mann ä& la 
Napoleon I. wäre, der unter Umständen einen Angriffskrieg mache. 
Dann allerdings wäre für diejenigen, gegen die sich seine Worte richteten, 
bei solchen Äußerungen die Vorbereitung zur Abwehr begreiflich. Der 
Kaiser sei aber in Wirklichkeit nur auf Erhaltung und Verteidigung be- 
dacht. Seine ethischen Grundsätze, sein aufrichtiges Christentum, sein im 
Grunde verständiges Wesen verböten ihm jeden Gedanken an einen An- 
griffskrieg. Er werde niemals einen solchen machen. Seine gereizten Aus- 
lassungen gegen diesen oder jenen Staat trügen immer nur einen Defensiv- 
charakter und reagierten lediglich auf das, was an den Kaiser über feind- 
liche Absichten dieses oder jenes Staates oder Regenten in wirtschaftlicher, 
politischer oder verwandtschaftlicher Hinsicht herangebracht worden wäre. 
Die Gesinnung änderte sich wieder, wenn der Kaiser nach einiger Zeit sähe, 
daß jene von ihm supponierten feindlichen Absichten nicht mehr vorhanden 
oder wenigstens ihrer Verwirklichung nicht nähergebracht worden wären. 
Die bei aller ihrer Beweglichkeit in ihren Grundzügen unabänderliche 
Natur des Kaisers machte mir beim Rückblick auf das Jahr 1899 wie auf 
das ganze hinter uns liegende Jahrzehnt schwere Sorgen und bedeutete 
eine ernste Aufforderung für mich, „toujours en ve&dette‘ zu bleiben, wie 
der große König dies für Preußen gefordert hatte. Aber nicht nur die
	        
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