Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Erster Band. Vom Staatsseketariat bis zur Marokko-Krise. (1)

DIE JAHRIUNDERT-KNIEBEUGE 357 
Rumänien das nachstehende Telegramm: „Im Augenblick, wo ein reich- 
bewegtes Jahrhundert zur Neige geht, in welchem wir so große Ereignisse 
erlebt und das die Bedingungen einer friedlichen Entwicklung der Staaten 
geschaffen, liegt es mir am Herzen, Ihnen und Ihrer verehrten Frau Ge- 
mabhlin ein glückliches neues Jahr zu wünschen, auf welchem der Segen 
Gottes ruhen möge. Gleichzeitig bitte ich Sie, die Versicherung meiner 
freundschaftlichen Gesinnung zu empfangen und überzeugt zu sein, wie 
sehr ich erfreut und beruhigt bin, die Leitung der auswärtigen Angelegen- 
heiten, in welchen Sie bereits so schöne Erfolge gehabt, Ihren bewährten 
Händen anvertraut zu wissen.“ Die Feier, die Kaiser Wilhelm zur Jahr- 
hundertwende im Schloß und in der Ruhmeshalle veranstaltete, trug einen 
allzu theatralischen Charakter. Auf zwei Seiten aufgestellte Apparate 
photographierten den Kaiser und alle Anwesenden in dem Moment, wo sie 
während des Gebets der Geistlichkeit und des von dieser erteilten Segens 
niederknieten. Und der stets, bisweilen zu gutem, bisweilen zu bösem Witz 
aufgelegte Berliner sprach von der Jahrhundert-Kniebeuge. 
Das erste Jahr des neuen Jahrhunderts führte zur völligen Besiegung 
der Buren. Im März nahm Lord Roberts Bloemfontein, im Juni rückte er 
in Pretoria ein. Schloß sich aber der Janustempel für Südafrika, so öffnete 
er seine beiden Pforten bald nachher in Ostasien. Am 18. Juni wurde in 
China der deutsche Gesandte Freiherr von Ketteler ermordet. Im Juni 
erfolgte die Kabinettsorder über Bildung und Führung eines Expeditions- 
korps nach China, zu dessen Kommandeur der Generalleutnant Lessel er- 
nannt wurde. Als Chef des Stabes wurde ihm einer der besten Offiziere des 
Generalstabes, der damalige Oberst Gündel, beigegeben. Es war derselbe 
Offizier, der, inzwischen zum General der Infanterie aufgerückt, im No- 
vember 1918 ursprünglich zum Vorsitzenden der Waffenstillstandskom- 
mission bestimmt worden war, eine Stellung, für die er durch Umsicht, 
Besonnenheit, Takt, vollkommene Beherrschung des Französischen und 
Übung im Verkehr mit französischen Offizieren sich hervorragend eignete. 
Den Vorsitz der Waffenstill ist ission riß aber 1918 mit der ibm 
eigenen stürmischen Vordringlichkeit der Abgeordnete Erzberger an sich, 
indem er manu propria unter Zustimmung des schwachen Prinzen Max von 
Baden den Namen des Generals Gündel ausstrich und an dessen Stelle seinen 
eigenen Namen setzte. Es unterliegt keinem Zweifel, daß sich für die Lei- 
tung der Waffenstillstandsverhandlungen General Gündel viel, sehr viel 
besser geeignet haben würde als Erzberger, der manche jener Eigen- 
schaften besaß, die dem Demagogen vorwärtshelfen, auch nicht ohne eine 
gewisse naive Gutmütigkeit war, dem aber für eine diplomatische Mission 
ungefähr alles fehlte, Kenntnisse und Erfahrung, Takt wie Würde. So kam 
es, daß im November 1918, an jenem traurigsten Tage der deutschen 
Die China- 
Expedition
	        
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