Reden
Wilhelms II.
in Wilhelms-
haven und
Bremerhaven
358 NICHTS MEHR OINE DEN DEUTSCHEN KAISER
Geschichte im Walde von Compitgne dem siegreichen französischen Ober-
befehlshaber die auch äußerlich groteske Figur des Abgeordneten für
Biberach entgegentrat. Mit dem Weltkrieg, dessen entsetzlichen Abschluß
das Erscheinen von Matthias Erzberger im Walde von Compitgne bildete,
war die chinesische Expedition von 1900 natürlich in keiner Weise zu ver-
gleichen. Aber gerade weil der Krieg gegen China von Wilhelm II. auf weite
Entfernung, mit verhältnismäßig geringem Einsatz, ohne persönliches
Risiko und mit der begründeten Hoffnung geführt wurde, daß es mir ge-
lingen würde, politisch-diplomatisch die Sache einzurenken, entlud sich das
Temperament des Kaisers bei diesem Anlaß mit voller Wucht. „Jetzt ist
es eine Lust zu leben!“ äußerte er damals wiederholt vor mir.
Ich habe Kaiser Wilhelm, dem ich während des Weltkrieges freilich nicht
mehr zur Seite stand, niemals in einer solchen Erregung geschen wie während
der ersten Phase der chinesischen Wirren. Zunächst hielt er in Wilhelms-
haven und in Bremerhaven Reden, die nicht nur den Chinesen, sondern
der ganzen Welt imponieren sollten. In Wilhelmshaven sprach er am 2. Juli
1900 von dem in seiner „Frechheit unerhörten, durch seine Grausamkeit
Schauder erregenden‘ Verbrechen der Chinesen, verlangte „exemplarische
Bestrafung und Rache“ und erinnerte daran, daß er diese Scheußlichkeit
vorausgesehen habe, aber nicht verstanden worden wäre. „Mitten in den
tiefsten Frieden hinein, für mich leider nicht unerwartet, ist die Brand-
fackel des Krieges geschleudert worden.‘ Das war ein Hinweis auf das
berühmte Bild „Völker Europas, wahrt eure heiligsten Güter“. Am nächsten
Tage hielt der Kaiser anläßlich des Besuchs des Prinzen Rupprecht von
Bayern bei Tisch eine Rede, wo er die bedenklicheren Worte sprach, daß
obne den Deutschen Kaiser keine große Entscheidung mehr in der Welt
fallen dürfe. Er würde rücksichtslos die schärfsten Mittel anwenden, um
die Weltmachtstellung des deutschen Volkes zu erhalten, das sei seine
Pflicht und sein schönstes Vorrecht. Hohenlohe und ich wollten diese Rede
nicht veröffentlichen lassen, sie war aber von Seiner Majestät sofort und
direkt an den Vertreter von Wolffs Telegraphenbüro gegeben worden, bevor
das Diner zu Ende war. Um zu verhindern, daß solche kaiserlichen Ergüsse
unsere Politik aus ihrem Geleise brachten, richtete ich aus Wilhelmshaven
am 2. Juli an das Auswärtige Amt die nachstehende telegraphische
Direktive: „Auch nach der Ermordung des Freiherrn von Ketteler wird
unsere Politik in Ostasien eine besonnene, ruhige und nüchterne bleiben.
Wir werden insbesondere vermeiden, was die Eintracht unter den Mächten
stören könnte, weiter Fühlung mit Rußland halten, England nicht ab-
stoßen, auch Japan und Amerika freundlich behandeln. Die Situation hat
sich aber insofern durch die Niedermetzelung unseres Gesandten verändert.
als es jetzt vor allem darauf ankommt, der Nation zu zeigen, daß diejenigen,