Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Erster Band. Vom Staatsseketariat bis zur Marokko-Krise. (1)

Abschieds- 
gesuch 
Posadowskys 
386 POSADOWSKY PIKIERT 
einem der größten Söhne des heiligen Dominikus, Trost und Frieden 
gefunden. Innige Freundschaft verband sie mit den glaubenseifrigsten 
Katholikinnen: mit der Herzogin Therese Ravascieri, der als Wohltäterin 
von Neapel vom ganzen Volk verchrten „Mamma Theresa‘, mit Lady 
Craven, der Verfasserin des in katholischen Kreisen viel gelesenen „Recit 
d’une saur“. Ihr zweiter Mann, Marco Minghetti, war ein glühender 
italienischer Patriot, aber gleichzeitig ein überzeugter, gläubiger Katholik, 
mit dem Verstand und mit dem Herzen. In ihren Zweifeln flüchtete sie sich 
zu ihm, der sie auf den heiligen Franziskus, auf Francois de Sales und Ros- 
mini wies. In der letzten Unterredung, die ich im Mai 1915 vor meiner Ab- 
reise von Rom mit meiner Schwiegermutter hatte, erwähnte ich einen der 
schönsten Aussprüche des Apostels Paulus. Sie bat mich, ihr das Wort auf- 
zuschreiben. Da sie nicht Deutsch verstand, schrieb ich ihr den Spruch in 
französischer Sprache nieder: „Les choses visibles sont pour un temps, mais 
les choses invisibles sont eternelles (II. Cor. IV. 18).“ Das Blatt, auf dem ich 
diese Worte niedergeschrieben hatte, lag auf dem Tischchen neben ihrem 
Bett, in dem sie am 12. September 1915 in ihrer Villa Mezzaratta bei 
Bologna starb. 
Aus Homburg richtete ich am Abend des 17. Oktober an den Vize- 
präsidenten des Staatsministeriums, den Finanzminister von Miquel, das 
nachstehende Telegramm: „Nachdem Seine Majestät mich zum Reichs- 
kanzler zu ernennen beschlossen haben, drängt es mich, Eurer Exzellenz 
die Bitte auszusprechen, mir auch fernerhin das freundschaftliche Wohl- 
wollen zu erbalten und die sachkundige Unterstützung zu gewähren, die 
für mich von so hohem Werte sind. In alter und steter Verehrung Bülow.“ 
An den Staatssekretär des Innern, Grafen Posadowsky, telegraphierte ich: 
„Durch den Willen Seiner Majestät zum Reichskanzler ernannt, ist es mir 
ein Bedürfnis Eurer Exzellenz zu sagen, wie sehr ich hoffe, daß Ihre hervor- 
ragende Sachkenntnis und Kraft mir für die Führung meines verant- 
wortungsvollen Amtes zur Seite stehen mögen. In treuer Ergebenheit 
Bülow.“ Während Miquel mir mit Liebenswürdigkeit und Geist seinen 
Glückwunsch aussprach und seine Unterstützung zusagte, überreichte mir 
Posadowsky mit einem steifen und gereizten Schreiben das nachstehende, 
an den Kaiser gerichtete Gesuch um Entlassung aus seinen Ämtern: 
„Eure Majestät haben allergnädigst geruht, dem Reichskanzler Fürsten zu 
Hohenlohe-Schillingsfürst die nachgesuchte Dienstentlassung zu erteilen 
und den Grafen Bülow zu dessen Nachfolger zu ernennen. Ich glaube als 
Stellvertreter des Reichskanzlers und Staatssekretär des Innern meiner 
Pflicht zu genügen, wenn Eure Majestät ich alleruntertänigst bitte, huld- 
reichst zu entscheiden, ob Eurer Majestät ich ein Gesuch um Entlassung 
aus meinen Ämtern unterbreiten darf.“ Hätte ich dieses pikierte
	        
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