Abschieds-
gesuch
Posadowskys
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einem der größten Söhne des heiligen Dominikus, Trost und Frieden
gefunden. Innige Freundschaft verband sie mit den glaubenseifrigsten
Katholikinnen: mit der Herzogin Therese Ravascieri, der als Wohltäterin
von Neapel vom ganzen Volk verchrten „Mamma Theresa‘, mit Lady
Craven, der Verfasserin des in katholischen Kreisen viel gelesenen „Recit
d’une saur“. Ihr zweiter Mann, Marco Minghetti, war ein glühender
italienischer Patriot, aber gleichzeitig ein überzeugter, gläubiger Katholik,
mit dem Verstand und mit dem Herzen. In ihren Zweifeln flüchtete sie sich
zu ihm, der sie auf den heiligen Franziskus, auf Francois de Sales und Ros-
mini wies. In der letzten Unterredung, die ich im Mai 1915 vor meiner Ab-
reise von Rom mit meiner Schwiegermutter hatte, erwähnte ich einen der
schönsten Aussprüche des Apostels Paulus. Sie bat mich, ihr das Wort auf-
zuschreiben. Da sie nicht Deutsch verstand, schrieb ich ihr den Spruch in
französischer Sprache nieder: „Les choses visibles sont pour un temps, mais
les choses invisibles sont eternelles (II. Cor. IV. 18).“ Das Blatt, auf dem ich
diese Worte niedergeschrieben hatte, lag auf dem Tischchen neben ihrem
Bett, in dem sie am 12. September 1915 in ihrer Villa Mezzaratta bei
Bologna starb.
Aus Homburg richtete ich am Abend des 17. Oktober an den Vize-
präsidenten des Staatsministeriums, den Finanzminister von Miquel, das
nachstehende Telegramm: „Nachdem Seine Majestät mich zum Reichs-
kanzler zu ernennen beschlossen haben, drängt es mich, Eurer Exzellenz
die Bitte auszusprechen, mir auch fernerhin das freundschaftliche Wohl-
wollen zu erbalten und die sachkundige Unterstützung zu gewähren, die
für mich von so hohem Werte sind. In alter und steter Verehrung Bülow.“
An den Staatssekretär des Innern, Grafen Posadowsky, telegraphierte ich:
„Durch den Willen Seiner Majestät zum Reichskanzler ernannt, ist es mir
ein Bedürfnis Eurer Exzellenz zu sagen, wie sehr ich hoffe, daß Ihre hervor-
ragende Sachkenntnis und Kraft mir für die Führung meines verant-
wortungsvollen Amtes zur Seite stehen mögen. In treuer Ergebenheit
Bülow.“ Während Miquel mir mit Liebenswürdigkeit und Geist seinen
Glückwunsch aussprach und seine Unterstützung zusagte, überreichte mir
Posadowsky mit einem steifen und gereizten Schreiben das nachstehende,
an den Kaiser gerichtete Gesuch um Entlassung aus seinen Ämtern:
„Eure Majestät haben allergnädigst geruht, dem Reichskanzler Fürsten zu
Hohenlohe-Schillingsfürst die nachgesuchte Dienstentlassung zu erteilen
und den Grafen Bülow zu dessen Nachfolger zu ernennen. Ich glaube als
Stellvertreter des Reichskanzlers und Staatssekretär des Innern meiner
Pflicht zu genügen, wenn Eure Majestät ich alleruntertänigst bitte, huld-
reichst zu entscheiden, ob Eurer Majestät ich ein Gesuch um Entlassung
aus meinen Ämtern unterbreiten darf.“ Hätte ich dieses pikierte