„ALLERHÖCHSTDERO" 17
mich aber, daß der genannte Vers vor 16 oder 17 Jahren von Gambetta,
wenn ich mich nicht irrte, während einer Debatte über die von ihm vorge-
schlagene Listenwahl zitiert worden wäre. Nachdem der Kaiser mir noch
einmal wiederholt hatte, daß er für den Besuch in Petersburg auf meine
Begleitung rechne, entließ er mich in der freundlichsten Weise. Wie schon
früher in Neapel, in Venedig und auch in Berlin und Potsdam hatte ich den
Eindruck, daß es kaum möglich wäre, liebenswürdiger, einfacher, natürlicher
zu sein, als es Wilhelm II. sein konnte. Die Klippen seines Wesens kamen
erst nach längerer Fahrt in den kaiserlichen Gewässern zum Vorschein.
Bei der Mittagstafel, zu der ich befohlen wurde, waren König Leo-
pold II. von Belgien sowie Prinz Albrecht von Preußen und die Offi-
ziere anwesend, mit denen der Prinz als Vertreter des Kaisers in London
der Jubiläumsfeier der sechzigjährigen Regierung der Königin Victoria bei-
gewohnt hatte. König Leopold begrüßte mich’ als alten Bekannten aus Öst-
ende. In deutscher Umgebung trat das Sarkastische seines Wesens noch
deutlicher zutage, er suchte etwas darin, jede Wiedergabe von Gesprächen
mit unserem Kaiser etwa folgendermaßen einzuleiten: „Seine Majestät der
Kaiser und König haben die hohe Gnade gehabt, mir über Allerhöchstseine
Stellungnahme zu der in Rede stehenden Frage huldvollst Nachstehendes
zu sagen, was aus Allerhöchstdero Munde zu hören den Wert der Eröffnung
und das Glück, in Allerhöchstdero Nähe zu weilen, für mich noch erhöht.“
Der König sprach sehr gut Deutsch, wenn auch mit leisem französischem
Akzent. Unsere Kaiserin war über seinen Besuch nicht erfreut. Die hohe
Frau hatte über seinen Lebenswandel allerlei Ungünstiges gehört, und so
gütig ihr Herz war, so verstand sie in moralischen Fragen, in Fragen der
Sittlichkeit keinen Spaß. Auch gefiel ihr nicht, daß der König von Belgien
sich bemüht hatte, den Kaiser zur Beteiligung an einigen größeren wirt-
schaftlichen Entreprisen, namentlich in Ostasien, aber auch in Afrika, zu
bewegen. „Der Kaiser sollte sich gar nicht mit dem abscheulichen Menschen
einlassen“, meinte die Kaiserin in ihrer rührenden Fürsorge für ihren
Gemahl, die etwas Mütterliches hatte. „Wer weiß, ob der ihn nicht herein-
legt. Gott gebe nur, daß der nicht auch auf anderen Gebieten dem Kaiser
böse Ratschläge gibt.“ Unsere politischen Beziehungen zu Belgien waren
übrigens damals so vertrauensvoll und freundschaftlich, daß auch kleine
Unstimmigkeiten daran nichts ändern konnten.
Was die aus England zurückgekehrten Herren erzählten, hatte den
Kaiser nicht erfreut. Als Prinz Albrecht mit seiner Suite in dem feier-
lichen Londoner Festzuge vom 22. Juni vorbeigekommen war, hatte
die Menge in den Straßen den Deutschen unter Anspielung auf das
Krüger-Telegramm wiederholt zugerufen: „Wenn Sie etwa ein Tele-
gramm an Ohm Krüger aufgeben wollen, so finden Sie rechts um die
2 Bülow I
Leopold II.
von Belgien
in Kiel
Prinz
Albrechts
Londoner
Reise