Brief
Herbert
Bismarcks
392 HERBERT BISMARCK ÜBER DIE „MUMIE“
gewinnen werden, wenn Ihnen die Arme frei gelassen werden. Sie
wissen, daß dieser Punkt der einzige Schatten ist, den ich im hellen Lichte
Ihrer Ernennung wahrnahm. Möge die Erinnerung unserer großen Zeit, die
schweigsame Bescheidenheit unserer Helden an allen maßgebenden
Stellen ebenso lebendig sein wie bei Ihnen, der Sie damals in jungen Jahren
diese großartigen Eindrücke in sich aufgenommen und zur Richtschnur
Ihres Denkens und Handelns gemacht haben. Und nun Glück auf den Weg,
junger Ritter. Jetzt gilt es voll Gottvertrauen — und Selbstvertrauen
vorwärtsgehen. Ich lege diesen Brief an Ihre Frau ein. Die Freude, Sie und
Donna Laura wiederzusehen, ist leider mit Wehmut gemischt. Die furcht-
baren Qualen der armen Kaiserin Friedrich gehen mir nicht aus dem Sinn.
Ich habe sie am 12. September noch besucht und vor vierzehn Tagen einen
Brief von ihr erhalten. Sie ist bis zum letzten Atemzuge die heldenmütige,
die treue Frau. Sie mißverkannt, nicht nach ihrem Werte gewürdigt zu
haben, ist ein schwarzer Fleck auf dem guten Rufe der Deutschen. Sie
empfindet schmerzlich den Haß, der sie von vielen Seiten bis zuletzt ver-
folgt. Sie sehnt sich, noch einmal ihre Heimat wiederzusehen. Wird sie es
erreichen? Ich glaube es kaum! Also hoffentlich auf gutes Wiedersehen.
In alter Freundschaft Ihr Loe.“
Herbert Bismarck schrieb mir aus Heidelberg: „Also endlich! Ich muß
Ihnen mit zwei Zeilen meine Genugtuung aussprechen, daß die alte Mumie
Chlodwig endlich beseitigt und daß Sie Kanzler geworden sind. Möge die
Bürde Ihnen leicht werden und von Ihnen zum Heil unseres Landes ge-
tragen werden. Ich habe Ihnen seit drei Jahren gesagt, daß es so kommen
mußte, und noch zuletzt bei Ihrem freundlichen Besuch in Friedrichsruh.
Nun gratuliere ich dem Vaterlande und Ihnen. Aber jetzt schaffen Sie sich
auch alle schwachen Kollegen und Intriganten vom Hals, sonst müssen Sie
zuviel totes Gewicht mitschleppen und werden ermüden. Ich bin neugierig,
wen Sie zu Ihrem Nachfolger wählen. Wäre Brauer nicht in Baden leitender
Minister, so würde er m. E. der geeignete Staatssekretär sein. Oder könnten
Sie Radowitz nehmen, um dem Zentrum eine Paritätsfreude zu machen?
In alter Treue stets Ihr Bismarck.“ Brauer, damals Ministerpräsident,
später Großhofmeister im „Musterländle‘“, hätte ich gern als Staatssekretär
des Äußeren an meiner Seite gesehen. Wir waren persönlich befreundet, seit-
dem wir uns 1875 in Petersburg begegnet waren, ich als dritter Botschafts-
sekretär, er als Konsul. Brauer verband Kenntnisse, Arbeitskraft und um-
gängliche Formen mit einem durchaus zuverlässigen Charakter. Der Vor-
schlag, Radowitz zu nehmen, der seit der reservierten Haltung, die er
nach 1890 gegenüber dem Hause Bismarck eingenommen hatte, dort
nicht gut angeschrieben war, ging bei Herbert aus dem Wunsch hervor,
dem verhaßten Holstein einen Schabernack zu spielen. Holstein und