Fortgang
des
Burenkriegs
China-Vertrag
mit England
398 DIE KAISERIN FÜR DIE BUREN
erforderlichen Rücksprachen genommen hatte, war ich bestrebt, mir in
abgemessenen Stunden und in ruhiger Überlegung die auswärtige Situation
noch einmal klarzumachen.
Am Tage meiner Ernennung zum Reichskanzler war Feldmarschall
Graf Waldersee in Peking eingetroffen. Damit trat die chinesische Frage
in das Stadium ganz überwiegend diplomatischer Behandlung. Am Tage nach
meiner Ernennung schiffte sich Präsident Krügerin Lourenzo Marques
auf dem niederländischen Kreuzer „‚Gelderland‘‘ nach Europa ein. Es lag
auf der Hand, daß Ohm Krüger, nachdem Lord Roberts Johannesburg und
Pretoria besetzt, der englische Gouverneur der Kapkolonie im Parlament
den Krieg als fast beendet bezeichnet und endlich Lord Roberts am 3. Sep-
tember die südafrikanische Republik für annektiert erklärt hatte, sein
ganzes Bestreben darauf richten würde, die europäischen Kontinental-
mächte und namentlich Deutschland, wo in allen Kreisen besonders
lebhafte Sympathien für die Buren bestanden, zu einer Intervention zu
bewegen. In beiden Burenländern wurde der Guerillakrieg fortgesetzt.
Die Burenführer Wet und Delarey meldeten fortgesetzte Erfolge. Der
erstere fiel sogar in die Kapkolonie ein, was die Hoffnungen der deutschen
Burenfreunde neu belebte und sie in der Überzeugung bestärkte, daß die
Sache der Buren noch nicht endgültig verloren wäre, sofern die deutsche
Regierung sich nur entschlösse, endlich zu ihren Gunsten zu intervenieren.
Es war mit Sicherheit zu erwarten, daß ich gegenüber den im Reichstag wie
im deutschen Volk weit verbreiteten und sehr hitzigen Sympathien für die
Buren einen harten Stand mit meiner Politik strenger Neutralität und abso-
luter Nicht-Intervention haben würde. Die Kaiserin, deren Herz von Anfang
an mit der großen Mehrheit des deutschen Volkes für die Buren schlug,
hatte mir im Sommer geschrieben: „Eben teilt mir der Kaiser mit, daß die
Buren ihn telegraphisch um Vermittlung des Friedens angegangen hätten.
Der Kaiser hat, wie Ihnen natürlich schon bekannt ist, nur unter der Be-
dingung zugesagt, daß England dasselbe täte, sonst nicht. Ich telegraphierte
dem Kaiser, ich hoffte, er würde günstige Friedensbedingungen für die Buren
bewirken können, da sie dies durch ihre Tapferkeit doch verdient hätten.
Ich wollte auch in diesem Sinne schreiben, habe noch meinem Brief hinzu-
gefügt, die Engländer müßten doch einsehen lernen, daß die armen Buren
auf ihrem Grund und Boden existenzberechtigt seien. Ich fürchte, wir
werden sonst wieder zu sehr auf die englische Seite gedrängt. Der Kaiser
sprach sich in letzter Zeit sehr zugunsten der Engländer aus.“
Unbekümmert um diese im deutschen Volk wie in der unmittelbaren
Umgebung Seiner Majestät zum Teil stürmisch hervortretenden Sympa-
thien für die Burensache, hatte ich vierundzwanzig Stunden vor meiner
Ernennung zum Reichskanzler mit England über die chinesische Frage und