DIE FRAU PRINZESSIN UND DER LAKAI 19
Albrecht Vater war mit der schönen Prinzessin Marianne der Niederlande
vermählt. Die Ehe ging nicht besonders. Der Gatte verliebte sich in die
anmutige Tochter des Kriegsministers von Rauch, der Garten des Kriegs-
ministeriums grenzte an den Garten des Palais Albrecht, und zum Kummer
des frommen Königs Friedrich Wilhelm IV. trennte sich Prinz Albrecht
(Vater) von seiner Frau und heiratete Fräulein von Rauch. Mit seiner
zweiten Frau vom König aus Berlin verwiesen, ließ er sich in Dresden
nieder, wo er sich die Albrechtsburg erbaute und für seine Gemahlin und
seine Kinder einige Jahre später vom Herzog von Sachsen-Meiningen den
Namen Gräfin und Grafen von Hohenau erhielt. Prinzessin Marianne unter-
nahm, um sich zu trösten, eine Reise nach Italien. In ihrer Umgebung
befanden sich eine tugendreiche Hofdame, ein würdiger Kammerherr und
ein als besonders zuverlässig empfohlener Lakai. Zunächst verlief die Reise
sehr gut, der Kammerherr berichtete an das Oberhofmarschallamt in
Berlin, daß die Frau Prinzessin die Italiener durch ihre Liebenswürdigkeit,
ihr Gefolge durch ihre Güte bezaubere. Bald konnte er berichten, daß Ihre
Königliche Hoheit nach wie vor in bester Stimmung wäre, daß sie mit
ihrer ganzen Suite zufrieden zu sein scheine, aber die Dienste des trefflichen
Lakaien besonders schätze. Diese Dienste und die Anstelligkeit des Lakaien
wurden auch weiter rühmend hervorgehoben, bis plötzlich die entsetzte
Meldung in Berlin eintraf, die Frau Prinzessin habe befohlen, daß der Lakai
an der Mittags- und Abendtafel teilnehmen solle. Prinzessin Marianne hat
ihren Günstling später geheiratet. Sie wurde schlecht von ihm behandelt,
der ein roher Mensch gewesen zu sein scheint, nahm aber, fromm wie sie war,
die Züchtigungen ihres Gatten als heilsame Prüfung entgegen und ist ihm
bis an sein Ende eine treue und gehorsame Frau gewesen. Ein Kind
aus dieser Ehe starb in jungen Jahren. Je älter sie wurde, desto mehr
steigerte sich bei der Prinzessin eine gewiß aufrichtige Religiosität, zu-
gleich aber stellte sich der alte fürstliche Hochmut wieder ein, und
sie urteilte schonungslos über jede Mesalliance in fürstlichen Häusern.
Daß sie selbst unter ihrem Stande verheiratet gewesen war, hatte sie
einfach vergessen.
Ich weiß nicht mehr, welcher griechische Historiker irgendwo erzählt, daß
ein griechischer Sophist von einem asiatischen König, den er gefragt hatte,
welche Kunst er von ihm zu lernen wünsche, die Antwort erhielt: „Lehre
mich die Kunst, vergessen zu können.“ Fürsten brauchen im allgemeinen
diese Kunst nicht zu lernen, sie vergessen von selbst, woran sie nicht er-
innert werden mögen. Ihrer religiösen Richtung entsprechend war Prin-
zessin Marianne auch politisch ganz nach rechts gerückt, und wenn sie
ihren Sohn besuchte, der Kommandierender General in Hannover geworden
war, mißbilligte sie laut und vor Hannoveranern die Annexion Hannovers
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