424. DER IMPERIALIST CHAMBERLAIN
er sie bejahend beantworten wolle, ob Frankreich sich nach beendeter
Weltausstellung gegen England kehren würde. Die Elemente der Unruhe
in Frankreich schienen sich zu verdichten und eine gefährliche Gestalt an-
zunehmen. Denselben Ideengang nahm ich bei dem Unterstaatssekretär
Mr. Bertie wahr, welcher mir sagte, die französischen Truppenverstärkun-
gen nach Madagaskar könnten nur eine feindselige Spitze gegen England
haben. Den Franzosen hat Lord Salisbury Faschoda geboten, d. h. er hat
die Anfänge eines bewaffneten französischen Eindringens an den oberen Nil
mit Gewalt unterdrückt. Den Russen würde er nicht so leicht ein Faschoda
bieten, weil die Russen zu Lande gegen die englische Macht vordringen
können, während die Franzosen erst über das Meer müssen, wo die englische
Flotte herrscht. Die englische Politik, ob unter Lord Salisbury oder unter
einem anderen, wird sich vor dem russischen Andrang in Nordchina und in
Persien langsam und widerstrebend zurückziehen. An der indischen Grenze,
wo die Russen übrigens noch nicht sind und auch nicht so leicht hinkommen
können, wie vielfach angenommen wird, würde England dagegen meiner
Überzeugung nach ohne Zaudern zu den Waffen greifen. Eine Verständi-
gung zwischen England und Rußland liegt in weiterem Felde als die
zwischen England und Frankreich. Weder das eine noch das andere ist
vor der Hand zu erwarten. Italien betrachtet Lord Salisbury als Quantite
negligeable. Er macht sich wenig aus den nervösen Wünschen Italiens und
befürchtet ebensowenig ein Abschwenken dieses Landes nach Frankreich.
Er glaubt, daß das Interesse Italiens im Banne der englischen Politik liege.
Chamberlain ist in den breiten Klassen des englischen Volks der volks-
tümlichste Mann, welcher England siegreich und zuversichtlich in die
Bahnen des Imperialismus leitet. Als leitender Minister in auswärtigen An-
gelegenheiten wird er aber bei den oberen Zehntausend gefürchtet, weil
man ihm keine ruhige Hand zutraut und von ihm annimmt, daß er als
Rosse- und Wagenlenker tollkühne Dinge und Sprünge unternehmen würde.
Mr. Chamberlain wünscht noch immer mit Deutschland zusammenzu-
gehen. Er wünscht die kolonialen Fragen, welche uns trennen oder nähern
können, je nachdem sie behandelt werden, in Fluß zu bringen. Er würde
gern an die Ausführung des deutsch-englischen Abkommens über Südafrika
herantreten. Nach der Konsolidierung des Gebiets, welches Rhodesia und
die beiden Burenrepubliken umfaßt, wird sich sehr bald das Bedürfnis eines
nahen Zuganges zum Meere herausstellen, und die Delagoa-Frage kann dann
akut werden. Der verstärkten französischen Besatzung in Madagaskar
gegenüber wird die englische Politik jene Frage, auch abgesehen von unse-
rem Abkommen, lieber mit als ohne uns lösen. Die Schwierigkeit der Aus-
führung unseres Abkommens liegt, wenn wir auch für den Augenblick
übersehen wollen, daß zunächst das Einverständnis Portugals dazu