BALFOUR UND GREY 425
erforderlich ist, in der Bestimmung, daß pari passu vorgegangen werden soll.
Jeder von beiden Teilen wird eifersüchtig darüber wachen, daß niemand
zuerst und allein vorgehe, während der Verfall des portugiesischen Besitzes
und die natürlichen Bedingungen der Besitzergreifung durch einen Dritten
in der einen Kolonie rascher reifen können als in der anderen. Es wird
schwierig sein, die stückweise Abbröcklung zugunsten beider Kontrahenten
zu gleicher Zeit vorzunehmen, wenn das eine Stück fester sitzt als das
andere. Wenn die Delagoabai-Frage zunächst angeschnitten werden soll,
so sind wir in der vorteilhaften Lage, daß dann England zuerst mit Vor-
schlägen an uns herantreten muß. Im Gegensatz zu Mr. Chamberlain gilt
Lord Rosebery als der besonnene und zuverlässige Staatsmann in der aus-
wärtigen Politik. Konservative wie Liberale würden ihn gern an der Spitze
des Foreign Office sehen. Ich halte ihn nicht für einen bequemen auswär-
tigen Minister, obwohl ich glaube, daß er lieber mit Deutschland als mit
Frankreich oder Rußland gehen würde. Lord Rosebery ist schr von der
öffentlichen Meinung abhängig, d. h. er wird sich nicht leicht zu etwas auf-
raffen, wo er nicht die sofortige öffentliche Zustimmung voraussetzt. Die
besten auswärtigen Minister für uns würden auf der konservativen Seite
Mr. Balfour, auf der liberalen Seite Sir Edward Grey sein.
Das Verhältnis von England zu Amerika hat eine Wandlung erfahren.
Wenn wir vor einem oder zwei Jahren kriegerische Verwicklungen mit
Nordamerika gehabt hätten, so würde ich darin die einzige Kriegsgefahr
auch zwischen England und uns erblickt haben. Heute nicht mehr. Die
Amerikaner haben zu deutlich ihre Abneigung gegen England gezeigt, und
obwohl die Engländer dies weder sich noch anderen eingestehen wollen, so
wissen sie es doch. Von Amerika wird sich England mehr gefallen lassen
als von irgend jemand anders, und gegen Amerika wird es auch in rein
diplomatischen Fragen schwerer zu haben sein als gegen irgendeine andere
Macht. An aggressive Absichten Englands gegen Deutschland habe ich nie
geglaubt. Ich traue ihm nicht die schwarze Absicht zu, über unsere Schiffe
herzufallen und unseren Handel zu vernichten, nur um einen Konkurrenten
weniger zu haben. Das englische Kapital ist zu stark in Deutschland
interessiert, um eine Vernichtung des deutschen Wohlstandes wünschen zu
können, und um sich die Erbfeindschaft Deutschlands aufzubürden, lohnt
das Spiel die Mühe nicht. Ich möchte sogar die ketzerische Ansicht aus-
sprechen, im Gegensatz zu vielen klugen Männern und im Gegensatz viel-
leicht zu der Mehrzahl der europäischen Kabinette, daß die englische Poli-
tik wissentlich nicht auf die Anzettelung eines europäischen Krieges ge-
richtet ist. Eine solche macchiavellistische Politik liegt dem englischen
Geiste fern, und ich kann nicht einsehen, weshalb der Engländer es als einen
Vorteil empfinden würde, wenn Europa in Flammen stände. Es geht ihm