Bismarck
und
Hohcnlohe
22 TISCHGESPRÄCH BEI BISMARCK
nur die Zuverlässigkeit des Charakters, sondern auch ein sicheres Urteil
und feinen Takt geerbt hatte. Er war für den schon recht alt gewordenen
und in Fragen der Verwaltung und Gesetzgebung, überhaupt auf geschäft-
lichem Gebiet wenig beschlagenen Fürsten Hohenlohe eine ausgezeichnete
Stütze. Er hat später mich in die Geschäfte des Reichskanzleramtes mit
Umsicht eingeführt, war dann Oberpräsident zweier Provinzen, Schleswig-
Holstein und Sachsen, und stand am Ende seines Lebens im Herrenhaus
als Führer der konservativen Fraktion seinen Mann.
Am 28. Juni trafen wir um die Mittagsstunde in Friedrichsruh ein. Wir
wurden am Bahnhof von dem Schwiegersohn des Fürsten, dem Grafen
Cuno Rantzau, empfangen. Beide Söhne waren abwesend, dagegen weilte
ein alter und treucr Freund des Bismarckschen Hauses, Freiherr Ferdinand
von Stumm, zuletzt Botschafter in Madrid, von welchem Posten er durch
Holsteinsche Intrigen verdrängt worden war, zum Besuch in Friedrichsruh.
Fürst Bismarck begrüßte den Fürsten Hohenlohe mit ausgesuchter und,
wie mir schien, geflissentlicher Courtoisie. Er wollte offenbar noch äußerlich
den Unterschied markieren, den er zwischen dem dritten und dem von ihm
heftig befehdeten zweiten Reichskanzler machte. Ich fand den Fürsten
Bismarck stark gealtert, aber aufrecht in seiner Haltung, geistig ganz der
alte, die Augen und der Blick gleich gewaltig, die Stimme ebenso fein und
leise wie früher. Er begrüßte Wilmowski und mich mit freundlichem
Händedruck als alte Bekannte. Bei Tisch drehte sich die Unterhaltung
namentlich um die russischen Besitzungen des Fürsten Hohenlohe, auf die
Fürst Bismarck wiederholt zurückkam, indem er den Wunsch aussprach,
daß man seinem zweiten Nachfolger den großen und schönen Besitz Werki
lassen möge. Er erkundigte sich auch lebhaft nach der Fürstin Hohenlohe
und fragte, ob die Frau Fürstin noch so eifrige Bärenjägerin wäre wie früher.
Wie viele Bären sie in Werki schon zur Strecke gebracht habe? Er selbst
hätte in Rußland seinerzeit manchen Bären erlegt. Leider wäre auch dies
Vergnügen für ihn vorüber. Gegen Ende des Essens fragte mich Fürst
Bismarck, wie es meinem Vater ginge. Seine Tochter, die Gräfin Rantzau,
fiel ihm rasch ins Wort mit der Bemerkung, daß der Staatssekretär von
Bülow, der zu seiner Zeit diese Stellung bekleidet hätte, schon vor Jahren
verstorben wäre. Ich bemerkte nach dieser Richtigstellung einen wehmütigen
Zug um die Mundwinkel des Vaters. Es schien ihm peinlich, sich diese
kleine Blöße gegeben zu haben. „Es war nicht Gedächtnisschwäche“, sagte
mir nach Tisch die Gräfin Rantzau, „es war nur Zerstreutheit.‘“ Der Fürst
kam später noch einmal auf mich zu, gab mir wieder die Hand und sagte mit
gütigem Ausdruck: „Ich habe weder Ihren Herrn Vater vergessen noch Sie.“
Nach dem Kaffee und der Zigarre unternahm Fürst Bismarck mit
dem Reichskanzler eine Spazierfahrt, nach deren Beendigung wieder die