XXVIU. KAPITEL
Der Bundesrat - Die Friedensliebe Kaiser Wilhelms II. - Mündigkeitserklärung des
Kronprinzen (6. V. 1900) - Die Rechte der Krone und die Parteien - Bülows Verhältnis
zum Kaiser - Wilhelm II. in den Briefen Eulenburgs an Bülow « Der Kaiser und Bismarck
Der Kaiser und die Sozialdemokratie « Gemütszustand der Kaiserin » Intrigen Eulen-
burgs gegen Ihre Majestät - Eulenburgs Spiritismus »- Freundschaft Wilhelms II. mit
dem Fürsten von Monako
enn ich nach Prüfung der außenpolitischen Lage, die ich im Spätherbst
1900 nach meiner Ernennung zum Reichskanzler vorfand, meinen
Blick nach innen richtete, so war ich mir natürlich wohl bewußt, daß
ich nach meinem ganzen Lebensgang unseren inneren Verhältnissen noch
ziemlich fernstand. Das hatte den Nachteil, daß es mir vielfach an Detail-
kenntnissen fehlte. Es hatte den Vorteil, daß ich ohne vorgefaßte Meinung,
ohne Scheuklappen, ohne Vorurteile irgendwelcher Art an die Probleme
der inneren Politik herantrat. Es hatte die gute Seite, daß ich nicht, wie
in Deutschland viele, sonst treffliche, redliche und biedere Beamte und
Volksvertreter, über Einzelheiten die große Linie vergaß, daß es mir nicht
oder nicht so häufig wie manchem Landsmann passierte, vor lauter
Bäumen den Wald nicht zu sehen. Auch beruhigte mich der Gedanke, daß
in England der Bankier Goschen ein tüchtiger Marineminister gewesen war
und daß in Preußen aus dem Schreiber beim Berliner Polizeiamt Christian
Rother ein guter Chef der Seehandlung, ein guter Direktor der Königlichen
Bank und sodann während zwölf Jahre ein ausgezeichneter Finanz-
minister wurde. Freilich war Rother in der ganz alten, ganz guten Zeit
vor 1848 vom Schreiber zum Staatsminister aufgerückt. Bismarck hatte zu
dem ehemaligen Schiffsarzt Lucius, der das ihm angebotene Finanz-
ministerium wegen Mangels an Fachkenntnissen ablehnte, gesagt: „Das
Finanzministerium ist das einfachste Ding von der Welt; wenn Bodel-
schwingh ihm hat acht Jahre vorstehen können, so kann das jeder.“
Lucius selbst war, wenn auch nicht Finanz-, so doch Landwirtschafts-
minister geworden und hatte sich als solcher bewährt. War nicht aus dem
Landjunker von Maltzahn-Gültz ein brauchbarer Reichsschatzsckretär,
aus dem Husarenoberst von Podbielski ein sehr brauchbarer Reichspost-
minister geworden? Was andere Junker konnten, das konnte ich auch.