Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Erster Band. Vom Staatsseketariat bis zur Marokko-Krise. (1)

FLITTERWOCHEN DER KANZLERZEIT 443 
Ich durfte endlich mit Genugtuung feststellen, daß ich das Vertrauen 
der Bundesregierungen besaß. In der Sitzung des Bundesratsausschusses 
für auswärtige Angelegenheiten, die am 11. Juli 1900 abgehalten worden 
war, hatte nach einem von mir gegebenen Überblick über den Stand der 
chinesischen Angelegenheit wie über die gesamte Weltlage der Vorsitzende 
des Ausschusses, der königlich bayrische Staatsminister Freiherr von 
Crailsheim, im Namen des Bundesrats erklärt, die bayrische Regierung 
sei mit den Grundzügen der von mir dargelegten Politik einverstanden, sie 
würde meine Politik mit voller Überzeugung unterstützen. Ich möge mich 
des Vertrauens der königlich bayrischen Regierung versichert halten. Die 
gleiche Erklärung gab für die sächsische Regierung Staatsminister von 
Metzsch ab: die sächsische Regierung billige mein Programm und meine 
Ziele und erkenne meine schon bewährte Politik als die richtige an. Alle 
übrigen Vertreter der Bundesstaaten äußerten sich in gleichem Sinne. So 
konnte der Vorsitzende des Ausschusses, Freiherr von Crailsheim, die ab- 
gegebenen Erklärungen dahin resümieren, daß die im Ausschuß vertretenen 
Bundesregierungen die von dem Staatssekretär des Auswärtigen Amtes 
dargelegte und vertretene Politik einmütig billigten. Bevor die Sitzung auf- 
gehoben wurde, ergriff der Vorsitzende noch einmal das Wort, um zu er- 
klären, daß nach der Überzeugung aller Bundesregierungen die Leitung 
unserer auswärtigen Politik gegenwärtig in guten Händen liege. Man könne 
mit Vertrauen in die Zukunft blicken, „solange diese Hände das Steuer 
hielten‘. Die letzten Worte hatte Crailsheim mit gewolltem Nachdruck und 
erhobener Stimme gesprochen. Ich stellte in meiner Erwiderung auf dieses 
Vertrauensvotum fest, daß meine zu meiner Befriedigung von den ver- 
bündeten Regierungen gebilligte politische Tätigkeit die Ausführung der 
tatkräftigen, zugleich maßvollen und besonnenen Politik Seiner Majestät 
des Kaisers wäre. 
Wenn ich stets entschlossen war, mein Bestes daran zu setzen, Kaiser 
Wilhelm II. ein einsichtiger Berater zu sein, so ging mir selbst damals in den 
Flitterwochen meiner Kanzlerzeit, wo der hohe Herr mich mit Beweisen von 
Freundschaft und Vertrauen überschüttete, mehr als einmal das melan- 
cholische Wort durch den Sinn, das Madame M£re, die Mutter des großen 
Napoleon, sprach, als das Kaisertum der Bonaparte auf seinem Gipfel 
stand: „Ga va bien pourvu que ga dure.“ Ich habe mich des Vertrauens 
und der Freundschaft des Kaisers Wilhelm II. nie ganz und nie wirklich 
sicher gefühlt. Ich habe zu ihm nie das Vertrauen gehabt, das ich in langen 
Jahren in Paris wie in Berlin zu dem Fürsten Chlodwig Hohenlohe, das ich 
zu Lo&, zu dem Prinzen Heinrich VII. Reuß und dem Fürsten Otto Stol- 
berg als Vorgesetzten, das ich zu Rheinbaben und Schorlemer, zu Bosse 
und Studt als Kollegen, das ich zu Franz Arenberg, zu Knesebeck und 
Rede vor dem 
Bundesrats- 
Ausschuß 
Charakteristik 
Wilhelms II.
	        
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