Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Erster Band. Vom Staatsseketariat bis zur Marokko-Krise. (1)

444. WILHELM II. REITET ATTACKE 
August Dönhoff, zu Adolph Deines und zu Fritz Vitztum als Freunden 
empfand. Gewiß war auf dem Gebiet der auswärtigen Politik die Friedens- 
liebe Seiner Majestät über jeden Zweifel erhaben. Auf Ehre und Gewissen 
kann ich versichern, daß Kaiser Wilhelm II. nie, in keiner Stunde meiner 
Ministerzeit, an einen Angriffskrieg gedacht hat. Wilhelm II. hat einige 
Jahre vor dem Weltkrieg (wenn ich mich nicht irre, von einem polnischen 
Maler) ein Bild malen lassen, das in der Form eines Triptychons nebenein- 
ander Friedrich den Großen, den Krückstock in der Hand, auf dem 
Schlachtfeld von Leuthen, Wilhelm I., bei Königgrätz von den siegreichen 
Truppen begrüßt, und Wilhelm II., mit hochgeschwungenem Säbel an der 
Spitze seiner Königsulanen bei einer Manöverattacke, darstellte. Wil- 
helm II. verschenkte gern dieses Bild, das besser als die längste Abhandlung 
die ganz aufrichtige Friedensliebe Seiner Majestät zum Ausdruck brachte. 
Das war es, was er in Wirklichkeit wollte: „schneidige‘ Allüren und ein 
„forsches“ Auftreten, aber keine wirkliche Gefahr, keine ernstliche Probe. 
Er hat nie andere als Manöverattacken reiten wollen. Sein Unglück war 
nur, daß er aus Naivität, auch aus Oberflächlichkeit, vor allem in bisweilen 
kindlicher Eitelkeit den Schein für Wirklichkeit nahm und zur Wirklichkeit 
stempeln wollte. Tatsächlich war er, soweit es sich um Krieg und Frieden 
handelte, eher ängstlich. Sein böser Oheim Eduard VII. hatte schon als 
Prinz von Wales in Paris den Franzosen, die sich wegen einer rasselnden 
Rede des Deutschen Kaisers alarmiert zeigten, lächelnd gesagt: „Chien qui 
aboie ne mord pas.‘ Schon die Möglichkeit kriegerischer Verwicklungen 
erschreckte ihn, und es lag bisweilen die Gefahr vor, daß unsere Gegner im 
Vertrauen auf die innerliche, intensive Scheu des Kaisers vor ernstlichen 
Komplikationen uns zu viel bieten könnten. 
Womöglich noch ferner als der Plan, mit dem deutschen Heer über 
unsere Nachbarn herzufallen, lag Kaiser Wilhelm II. die Absicht, mit 
seiner geliebten Flotte England anzugreifen. Nie ist Wilhelm II. der Ge- 
danke auch nur durch den Kopf gegangen, England mit Krieg zu überziehen. 
Tirpitz hatte, bis er sich von seinem Eifer für sein Ressort, für seine Sache 
weiter, immer weiter und schließlich zu weit fortreißen ließ, den richtigen 
Gedanken vertreten, wir müßten zur See so stark werden, daß ein Angriff 
auf uns für den Angreifer mit einem erheblichen Risiko verbunden wäre. 
Dann stünde ruhigen, vertrauensvollen und sicheren Beziehungen zwischen 
dem deutschen und dem englischen Volke auf der Basis der Gleichberech- 
tigung nichts mehr im Wege. Das Bild, das der Phantasie Wilhelms II. als 
schönste Zukunftsperspektive vorschwebte, war, daß er an der Spitze einer 
großen, einer sehr großen deutschen Flotte eine friedliche Fahrt nach Eng- 
land antreten würde. Auf der Höhe von Portsmouth würde den Deutschen 
Kaiser der englische Souverän an der Spitze seiner Kriegsflotte erwarten.
	        
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