Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Erster Band. Vom Staatsseketariat bis zur Marokko-Krise. (1)

XXX. KAPITEL 
Die Zwölftausend-Mark-Affüre » Interpellation im Reichstag + Bülow tritt für den 
Grafen Posadowsky ein. « Dessen Charakteristik « Die Burenfrage » Hitzige deutsche 
Begeisterung für Prüsident Krüger + Bülows Reden zur Burenfrage - Rundreise bei 
den größeren deutschen Höfen - München, Prinz Luitpold » Berichte des Grafen Monts 
über den Verlauf des Münchener Besuchs - Stuttgart, Reich und Bundesstaaten 
er erste Kollege, den ich nach meinem Amtsantritt in Berlin aufsuchte, 
war der Staatssekretär des Innern Graf Posadowsky gewesen. Gerade 
weilich wußte, daß er gehofft hatte, selbst Reichskanzler zu werden, und daß 
meine Ernennung eine Enttäuschung für ihn bedeutete, war ich ihm mit 
besonderer und aufrichtiger Freundlichkeit entgegengekommen. Aber trotz 
aller Liebenswürdigkeit von meiner Seite war es mir nicht gelungen, den 
Winter seines Mißvergnügens zu verscheuchen. Wenige Tage später ließ 
sich Graf Posadowsky spät am Abend, zwischen 11 und 12 Uhr, bei mir 
melden, um mir mit allen Zeichen der Erregung und Bestürzung mitzu- 
teilen, daß die sozialdemokratische „Leipziger Volkszeitung‘ ein von dem 
Abgeordneten Bucck unterzeichnetes Schreiben des Vorstandes des Zentral- 
verbandes deutscher Industrieller an mehrere große Unternehmer veröffent- 
licht habe, das ihn, den Staatssekretär, in eine überaus peinliche Lage 
bringe. Es hieß in diesem Schreiben, das Reichsamt des Innern habe dem 
Vorstand gegenüber den Wunsch geäußert, daß die Industrie ihm 12 000 Mark 
zum Zweck der Agitation für den Entwurf eines Gesetzes zum Schutz des 
gewerblichen Arbeitsverhältnisses zur Verfügung stellen möchte. Der Vor- 
stand habe diese Angelegenheit dem stellvertretenden Vorsitzenden des 
Zentralverbands, Herrn Geheimen Finanzrat Jencke, unterbreitet, der es 
„aus nabeliegenden Gründen“ für zweckmäßig erachtet habe, „dieses etwas 
eigentümliche Verlangen“ nicht zurückzuweisen. Jencke habe für die Firma 
Krupp 5000 Mark für den erwähnten Zweck zur Verfügung gestellt. Herr 
Bueck hatte den Artikel der „Leipziger Volkszeitung‘‘ dahin richtig- 
gestellt, daß der Vorgang sich nicht 1898, sondern 1899 zugetragen habe, im 
übrigen aber die Authentizität seines Schreibens nicht bestritten. 
Graf Posadowsky, der augenscheinlich völlig die Nerven verloren hatte, 
fürchtete einerseits, daß der Kaiser ihn fallenlassen würde, andererseits 
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Der Zentral- 
verband der 
Industriellen
	        
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